Es gibt mittlerweile eine ganze Menge technischer Hilfsmittel, die uns Diabetikern das Leben erleichtern – und natürlich hoffen wir auf weitere Innovationen auf diesem Gebiet. Doch können wir unser ganzes Diabetes-Denken bald wirklich komplett kleinen schlauen Maschinen überlassen? Wohl eher nicht, habe ich zusammen mit knapp 300 anderen Typ-1-Diabetikern beim T1Day 2015 in Berlin gelernt.
Es gibt ja viele Menschen, die mit Mathematik ein bisschen auf dem Kriegsfuß stehen. Als Typ-1-Diabetiker nutzt es einem leider rein gar nichts, einen kreativ-künstlerischen Beruf zu ergreifen – die Alltagsmathematik hat einen immer fest im Griff. Wir müssen nicht nur den Kohlenhydratanteil von Lebensmitteln korrekt schätzen, sondern auch das noch wirkende Restinsulin im Blick behalten und dann – je nach aktuellem Blutzuckerwert und mit dem zur jeweiligen Tageszeit geltenden KH-Faktor – die richtige Dosis Insulin abgeben. Leider gelingt es zwischen 59 und 64 Prozent der Patienten nicht, die Insulindosis korrekt nach KE-Faktor und Korrekturfaktor zu berechnen, erklärte Sabine Carstensen von der Firma Abbot beim T1Day am 25. Januar in Berlin. Das geht zumindest aus etlichen internationalen Studien mit dem Diabetes Numeracy Test hervor. Kein Wunder also, dass die Anbieter von Insulinpumpen und Blutzuckermessgeräten seit einigen Jahren immer mehr Geräte mit Bolusrechnern anbieten.
Ums Mitdenken kommt man auch mit einem Bolusrechner nicht herum
Die Idee klingt erst einmal toll: Ich muss nur noch die Kohlenhydrate meiner Mahlzeit korrekt schätzen, den Rest erledigt mein Gerät für mich. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail: Erst einmal verwendet jede Firma für ihr Bolusrechnersystem völlig andere Begriffe. Bei „Dosisrechner“, „Boluskalkulator“, „BolusExpert“ ist noch halbwegs klar, dass es sich wohl um ein uns dieselbe Sache handelt. Doch bei „Zielbereich“, „Zielwert“ und „Schwellenwert“ schwant einem, dass es wohl kleine, aber feine Bedeutungsunterschiede geben könnte. Vermutlich steckt dahinter der Wunsch der jeweiligen Marketing-Abteilungen, sich vom Wettbewerb abzusetzen – für den Anwender ist diese Begriffsvielfalt aber schlicht verwirrend. Und auch die Algorithmen der einzelnen Geräte unterscheiden sich zum Teil erheblich: Während das eine System von einem linearen Abfall der Insulinkonzentration im Blut ausgeht, rechnet das andere eher mit geschwungenen Kurven. Eines schlägt bereits beim Erreichen des Schwellenwerts einen Korrekturbolus vor, ein anderes verwendet einen anderen Grenzwert. Doch damit nicht genug: Wer seinen Bolusrechner sinnvoll anwenden möchte, muss ihn zunächst einmal umfassend konfigurieren. Welches Wirkfenster hat mein Bolusinsulin? Um wie viel mg/dl senkt eine Insulineinheit meinen Blutzucker? Welche Korrektur erreiche ich mit einer Insulineinheit? Welchen KH-Faktor benötige ich morgens, welchen mittags und welchen abends? „All diese Therapievariablen muss der Diabetiker erst einmal kennen und beherrschen“, betonte Carstensen. Ums Mitdenken kommt ein Diabetiker also auch mit einem Bolusrechner nicht herum. Schade eigentlich.
Die Idee der künstlichen Bauchspeicheldrüse ist ohnehin viel aufregender
Aber ist nicht eigentlich ohnehin die Idee einer künstlichen Bauchspeicheldrüse noch viel, viel aufregender? Auch hierfür kursieren in der Diabetes-Szene eine ganze Reihe verschiedener Begriffe: artificial pancreas, closed loop oder bionic pancreas. Gemeint ist im Grunde immer dasselbe: Ein CGM-Sensor misst kontinuierlich den Gewebszucker und sendet die Messdaten an eine kleine Rechenmaschine, die je nach Bedarf über eine Pumpe Insulin oder Glukagon zuführt. Insulin senkt den Blutzuckerspiegel, Glukagon regt die Ausschüttung von Glukose aus den Speichern an – und wenn das System einen schlauen Algorithmus verwendet, dann gehören jegliche Blutzuckerschwankungen der Vergangenheit an, ohne dass ich auch nur einen Gedanken an irgendwelche Kopfrechenaufgaben verschwenden muss.
Bislang kann der Closed Loop den BZ nur recht grob einpendeln
Ulrike Thurm und Lutz Heinemann berichteten von der Forschung auf dem Weg zu dieser Wundermaschine, die tatsächlich zwischen 1960 (erste „Rucksack-Pumpe“ für Insulin- und Glukagon-Infusion) und heute enorm an Fahrt aufgenommen hat. Derzeit laufen Anwendungsstudien zur künstlichen Bauchspeicheldrüse am Menschen mit Prototypen, die aus handelsüblichen Komponenten (CGM-System, Insulinpumpe, eine weitere Pumpe für Glukagon) bestehen, weswegen die bemitleidenswerten Probanden wie ziemliche Cyborgs aussehen. Doch neben der Optik gibt es einen weiteren Dämpfer: Bislang gelingt es dem System nur, den Blutzucker zuverlässig zwischen 50 und 298 mg/dl einzupendeln. Auf die Frage der Referenten, wer sich solche Ergebnisse auch ohne künstliche Bauchspeicheldrüse zutraut, standen ziemlich viele der Zuhörer im Saal auf – ich übrigens auch, denn meist gelingt es mir sogar mit meiner völlig analogen Pen-Therapie, meinen Blutzucker im Zielbereich von 80 bis 160 mg/dl zu halten (von kleinen Ausrutschern in die 200-er Region einmal abgesehen). „Ein gut eingestellter Typ-1-Diabetiker, der sein Hirn benutzt, kann seinen Blutzucker in der Regel besser ohne closed loop managen“, war deshalb auch Ulrike Thurms Fazit. Nichtsdestotrotz: In zwei bis drei Jahren könnte es tatsächlich soweit sein, dass erste Closed-Loop-Systeme die Marktreife erlangen. Und mit Sicherheit wird man in der Zwischenzeit weiter an den Algorithmen feilen, damit Insulin und Glukagon noch besser bedarfsgerecht Hand in Hand gehen.

BZ 146, noch 1 IE wirksames Restinsulin, Mahlzeit mit 35 Gramm KH bei KH-Faktor 1,75 – welchen Bolus muss ich jetzt nur spritzen?
Und bis die ganze Technik wirklich funktioniert, hilft leider nur eins: Hirnschmalz und Nachhilfe in Alltagsmathematik!
12. November 2015 um 9:52
Moin Olli, danke für den Link, den werde ich mit Sicherheit häufiger mal verfolgen! Mein Bericht bezog sich auf einen Vortrag beim T1Day im Januar 2015 von Lutz Heinemann und Ulrike Thurm, die dort über den aktuellen Stand der Erkenntnisse berichtet haben. Das ist ja nun auch schon wieder ein paar Tage her. Es tut sich viel auf diesem Gebiet, und das ist auch gut so! LG Antje
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11. November 2015 um 0:09
Kann closed Loop den BZ nur recht grob einpendeln ?
Hmm,verstehe ich nicht. Wieso ein Computer den dreisatz nicht hinbekommen soll.
-> Computer dieses ding ist ein bisl dumm kann aber schnell rechnen und hat 24h ausdauer.
-> Mensch bisl schlauer als Computer kann gut rechnen schläft gerne mal 6-8 stunden und hat bessere hobbies als T1d.
Ich denke closed loop wird eines tages für jeden diabetiker ein treuer helfer. 🙂
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11. November 2015 um 13:11
Hi Oliver, der Computer muss für den Closed Loop mehr als Dreisatz können, wie ein Diabetikergehirn eben auch: Genau genommen müsste er nicht nur berücksichtigen, wie hoch der BZ ist, wie viele KH gleich verzehrt werden sollen udn wieviel Insulin man dafür braucht. Sondern auch, ob kürzlich Bewegung stattgefunden hat (Muskelauffülleffekt) oder gleich Bewegung ansteht, wie gut der Schlaf war, ob ein Infekt vorliegt, ob die Leber mit Alkoholabbau beschäftigt ist, ob noch ein Bolus wirkt, ob die Insulinsentitivität derzeit eher gut oder schlecht ist etc. pp. Und DAS alles in einen Algorithmus zu packen, der zuverlässig funktioniert, ist doch nicht trivial… Ich denke, deshalb gestatten die Macher der aktuellen experimentellen Closed Loop Systeme den Geräten derzeit einen größeren BZ-Spielraum. Sonst würde bei jeder kleinen BZ-Schwankung gleich automatisch Insulin ausgeschüttet, was auch schnell zu heftigen Hypos führen kann. Das ist alles im Werden, aber halt noch nicht marktreif… 🙂
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11. November 2015 um 22:27
Die Frage ist woher kommt die Aussage ist die suggestiv oder gibt es Erfahrungen z.B. eine Teilnahme an einen Studie ?
Schau mal bei openaps.org nach. Dort wird ganz klar ausgesagt, das der einsatz von APS den HB1C um 1% gesenkt hat.
Dabei war Dana Leibrand vorher schon eine vorzeige diabetikerin. Meinen Recherchen nach ist sie nicht die Einzige. 🙂
CU Olli
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