Vor gut einem halben Jahr bin ich vom Freestyle Libre 3 (FSL3) zum Dexcom G7 gewechselt. Und weil ich noch einen FSL3-Sensor übrig hatte, habe ich meinen Mann Christoph überredet, damit für 14 Tage seine Glukosewerte aufzuzeichnen. Was er für seine Ernährung und sein Training daraus lernen konnte, ist allerdings ziemlich überschaubar.
Hätte er bei diesem Experiment wirklich bahnbrechende Erkenntnisse gewonnen, hätte ich natürlich nicht so lange mit diesem Blogbeitrag gewartet, sondern umgehend in die Tasten gehauen. Doch weil Christoph keine ultimativen Aha-Erlebnisse hatte, als er den Sensor getragen hat, war dieser Blogbeitrag auf meiner Prioritätenliste nicht allzu weit oben angesiedelt. Allerdings häufen sich in letzter Zeit mal wieder Berichte zu Sinn und Unsinn der kontinuierlichen Glukosemessung bei Stoffwechselgesunden – und deshalb krame ich das Thema nun doch noch einmal hervor und erzähle euch, wie es Christoph im November 2024 mit seinem CGM-Sensor ergangen ist.
Hintergrund der öffentlichen Aufmerkamkeit in jüngster Zeit ist zum einen das Ziel von Herstellern wie Abbott, die Zielgruppe für ihre CGM-Sensoren auf Menschen ohne Diabetes auszuweiten. Dazu passt natürlich der Hype um die selbsternannte „Glukosegöttin“ Jessie Inchauspé, die darauf schwört, ihren Glukosespiegel mit einem CGM-System zu überwachen, obwohl bei ihr weder ein Diabetes noch eine Vorstufe davon diagnostiziert wurde. Sie hat 2022 das Buch „Der Glukose-Trick“ geschrieben und verzeichnet auf ihrem Instagram-Kanal @glucosegoddess sage und schreibe 5,6 Millionen Follower (Stand Mai 2025). Die Schlüsse, die sie aus ihren Glukosedaten zieht, und die Ernährungsempfehlungen, die sie auf Basis dieser Daten verbreitet, stehen aus wissenschaftlicher Sicht allerdings auf eher wackeligen Füßen, wie man z. B. hier nachlesen kann. Dass die Nutzung von CGM-Sensoren bei Stoffwechselgesunden auch zu Fehleinschätzungen in Sachen Ernährung bis hin zu zwanghaftem Ernährungsverhalten führen kann, wird hier ganz gut zusammengefasst.
Mit CGM-Sensor das Training für den Marathon optimieren?
Mit diesem Vorwissen hatten Christoph und ich keine besonderen Erwartungen an seinen Testlauf mit dem FSL-Sensor. Ich war ein bisschen neugierig, ob die Kenntnis seiner Glukosewerte Christoph in irgendeiner Form in seiner Eigenwahrnehmung und seinem Verhalten beeinflussen würde. Und Christoph wollte herausfinden, ob er mithilfe seiner Glukosekurven sein Training für den nächsten Marathon (damals stand der Athen-Marathon im November 2024 kurz bevor) würde optimieren können. Abgesehen davon, dass Christoph offensichtlich keinen Diabetes hat, haben wir dann im Verlauf der 14 Tage tatsächlich zwei interessante Dinge gelernt, die wir vorher noch nicht wussten:
Erkenntnis Nr. 1: Falsch-niedrige Werte zu Beginn der Sensorlaufzeit auch ohne Diabetes
Das sogenannte „First-Day-Phenomenon“ betrifft nicht nur Menschen mit Diabetes, sondern kann auch bei Stoffwechselgesunden wie Christoph auftreten. Unter dem Begriff versteht man die Beobachtung, dass ein Sensor am ersten Tag der Laufzeit bei etlichen Menschen ungenau misst, weil es unmittelbar nach dem Setzen zu Entzündungsreaktionen im Gewebe kommt, welche die Messgenauigkeit beeinträchtigen (siehe z. B. Joseph JI et al. Diabetes Technol Ther. 2018 May;20(5):321-324. doi:10.1089/dia.2018.0106). Christoph hatte den Sensor unmittelbar nach dem Setzen aktiviert, in der Folge zeichnete sein FSL3 während der ersten paar Tage (!) seiner Laufzeit eine Menge falsch-niedriger Werte auf, wie wir mithilfe blutiger Kontrollmessungen herausfanden. Erst ab dem 4. Tag lief der Sensor zuverlässig und lieferte genaue Messungen. Ich habe dieses Phänomen schon ganz zu Beginn meiner CGM-Karriere auch für mich beobachtet und setze meine Sensoren deshalb vorsorglich lieber eine ganze Weile vor dem Aktivieren, damit sich Sensor und Gewebe ein bisschen „eingrooven“ können. Hier seht ihr einmal Christophs Glukosekurven im Verlauf der 14 Tage mit dem FSL3:















Erkenntnis Nr. 2: Lauftraining ist auch mit Glukosewert von 60 mg/dl möglich
Ohne Diabetes kann man tatsächlich auch mit einem Glukosewert von 58 mg/dl (3,2 mmol/l) bzw. 60 mg/dl (3,3 mmol/l) gefahrlos zu einer längeren Laufeinheit aufbrechen. Ich muss gestehen, dass mir ein bisschen mulmig zumute war, als mir Christoph unmittelbar vor einem längeren abendlichen Trainingslauf einen Glukosewert von 60 mg/dl mit stark fallender Tendenz zeigte. Die blutige Messung (58 mg/dl) ergab, dass der Sensor durchaus richtig lag. Ich fragte Christoph, ob er sich gut fühlt und nicht lieber noch etwas essen möchte, bevor er seinen Lauf startet. Er antwortete: „Nö, ich fühle mich gut. Ohne Sensor wäre ich jetzt ja auch einfach losgelaufen.“ Sprach’s, verschwand für ein oder zwei Stunden in der Dunkelheit und kam unbeschadet und mit unauffälligen Glukosewerten zurück. Meine persönliche Schlussfolgerung daraus lautet: Es ist zwar unbestritten, dass Hypoglykämien (ebenso wie natürlich auch Hyperglykämien) schädlich sind. Ich habe selbst desöfteren darüber geschrieben (siehe z. B. hier oder hier), welche Folgen Unterzuckerungen z. B. auf das Gehirn haben können. Menschen mit Diabetes sollten deshalb aufpassen, den kritischen Grenzwert von 70 mg/dl (3,9 mmol/l) möglichst selten zu unterschreiten – insbesondere deshalb, weil sich der Körper bei häufigen Hypoglykämien an den Zustand gewöhnt und dann keine Symptome mehr anzeigt, die einen zum Gegensteuern bewegen, Stichwort Hypo-Wahrnehmungsstörung. Doch pauschale Warnungen mit erhobenem Zeigefinger wie „Jeder Wert unter 70 mg/dl kostet euch Gehirnzellen!“ (sind mir tatsächlich schon begegnet!) halte ich nach Christophs CGM-Experiment definitiv für überzogen. Mein lieber Mann ist vom Lauftraining bislang jedenfalls nicht merklich dümmer geworden. 😉

Blutzuckerachterbahn erhöht die Gefahr von Snaccidents
Wenig überraschend dagegen war Christophs Erkenntnis, dass kohlenhydratreichte Mahlzeiten zu Blutzuckerspitzen führen. Die wiederum – weil seine Bauchspeicheldrüse ja bestens funktioniert und dann fix jede Menge Insulin ausschüttet – von einer rapiden Blutzuckertalfahrt gefolgt werden. Ein schnell sinkender Blutzuckerspiegel mündet dann in einer Heißhungerattacke, und die erhöht die Gefahr von Snaccidents (wem dieses wunderbare Wort nicht geläufig ist, dem empfehle ich dieses YouTube-Video), die zumindest dann kontraproduktiv sind, wenn man eigentlich lieber ein paar Kilos weniger als mehr hätte.
Nicht alle müssen unbedingt ihre Glukoseverläufe kennen
Menschen, die ihr ungesundes Ernährungsverhalten bis dato noch nicht kritisch reflektiert haben, die ggf. bereits an der Schwelle zum Typ-2-Diabetes stehen (Prädiabetes), erleben beim Blick auf ihre CGM-Kurven hingegen sicherlich viele wertvolle Aha-Momente. Und genau die können es einem erleichtern, das eigene Verhalten zu verändern. Insofern halte ich es für eine gute Sache, wenn Menschen mit Prädiabetes und natürlich auch mit bereits diagnostiziertem Typ-2-Diabetes Zugang zu CGM-Systemen bekommen. Bei Stoffwechselgesunden wie Christoph, der im Großen und Ganzen bereits einen gesunden Lebensstil mit ausgewogener Ernährung und viel Sport praktiziert, halte ich den Einsatz von CGM allerdings für überflüssig. Das konnte man nach einer Weile übrigens auch an seinem Nutzungsverhalten ablesen. Während Christoph in den ersten Tagen mit FSL3 noch regelmäßig auf die Werte schaute, musste ich ihn gegen Ende der Laufzeit immer wieder daran erinnern, überhaupt einmal die Libre-App zu öffnen: „Ach ja, ganz vergessen, ich hab heute noch gar nicht reingeschaut!“ Seufz, was würde ich nur dafür geben, das ebenfalls gefahrlos sagen zu können…

15. Mai 2025 um 21:38
Danke für dieses tollen Beitrag. Eine Ergänzung zu dem Startwert von 58/60 von Christoph zu seinem Trainingslauf.
a) er wird vermutlich zu diesem Zeitpunkt kein Insulin mehr im Blut haben
b) seine Leber kann ihn vor unterzuckerungen retten
(da fehlt mir auch medizinischer Input, warum die Leber so schwach wird, wenn man bald 30 Jahre DT1 hat )
Ich würde ohne sehr viel Traubenzucker eingenommen zu haben nicht loslaufen und dann auch nicht ohne viel Traubenzucker im Gepäck nicht aus dem Haus gehen.
Aber wirklich toll zu sehen, dass nach dem Essen auch bei Christoph die Werte nach oben gehen (wir erinnern uns an die Diskussion zum Thema SEA).
Und da ich Christoph auch für sehr intelligent halte, hoffe ich, dass meine BZAchterbahnen mich nicht zum Gegenteil verurteilen. Auch die häufigen Warnungen „wenn du so oft auf 60 runtergehst und dann wieder hoch und runter ist das sehr schädlich für die Augen“, kann ich jetzt besser einordnen.
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16. Mai 2025 um 10:11
Lieber Tobi, du hast Recht, Christoph hatte beim Loslaufen sicherlich kein Insulin im Blut. Das ist auch der Grund, warum er dank Glukagonausschüttung bei niedrigen Werten problemlos an die Glykogenvorräte in seiner Leber rankommt. Bei uns Typ-Einsern ist immer irgendwie Insulin im Umlauf, das genau diese physiologische Reaktion (Freisetzung von Glukagon) hemmt. Im Grunde ist also deine Leber nicht geschwächt, sondern bekommt bei einer Unterzuckerung mangels Glukagonsignal nur eine abgeschwächte oder gar keine Information, dass sie Glykogen freisetzen soll, um den BZ anzuheben.
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