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Echte Geschichten aus meinem bewegten Leben mit Typ-1-Diabetes

Erinnerung an meine Diagnose: Die fünf Phasen der Trauer

3 Kommentare

Kennt ihr die Podcast-Reihe ‚Sag mal, du als Psychologin…‘, die man sich auf Audible anhören kann? Falls nicht, auf diesem Wege meine ganz klare Empfehlung. Am Wochenende habe ich die Folge ‚Abschied nehmen und Trauer tragen‘ gehört. Darin geht es um die Phasen der Trauer, wie man sie z. B. nach dem Verlust geliebter Menschen oder angesichts des eigenen nahenden Todes durchlebt.

Ein bis heute aktuelles Modell hierfür stammt von der berühmten Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, das diese bereits 1969 auf Basis von Interviews mit Sterbenden verfasst hat. Es lässt sich aber auch auf die Verarbeitung anderer einschneidender Veränderungen übertragen – etwa den Umgang mit medizinischen Diagnosen. Das ist schließlich auch eine Art Sterben bzw. zumindest ein großer Verlust, nämlich der der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit. Und während ich dem Podcast lauschte, wurde mir klar, dass die Art, wie ich ab 2010 meine Diagnose Typ-1-Diabetes verarbeitet habe, exakt nach dem Modell von Kübler-Ross ablief.

Phase 1: Leugnung. Als unmittelbare Reaktion auf einen gravierenden Verlust neigen die meisten Menschen dazu, das Ganze für einen Irrtum oder eine blöde Verwechslung zu halten. So auch bei mir: Da erklärte mir zunächst der Hausarzt und später auch der eilends hinzugezogene Diabetologe (ausführliche Erinnerungen an meine Diagnose habe ich übrigens hier aufgeschrieben), dass ein Blutzuckerwert von 375 mg/dl zweifelsfrei bedeutet, dass ich Diabetes habe. Und mir schoss als erstes der Gedanke durch den Kopf: „Moment, nein, das ist falsch! Ich schreibe über solche Sachen! Ich habe sowas doch nicht!“

Phase 2: Zorn. Bei Sterbenden gilt dieser allen Menschen, die weiterleben dürfen. Nachdem ich realisiert hatte, dass mein Diabetes nun wohl Realität ist, war auch ich wütend. Ich fand die Erkrankung ungerecht, weil ich mich doch – im Gegensatz zu so vielen anderen Menschen – eigentlich immer ganz passabel um meinen Körper gekümmert hatte. Nie geraucht, nur mäßig Alkohol getrunken, mich um gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung gekümmert… Und ich muss gestehen: Ab und an packt mich bis heute eine kleine Welle dieser Wut. Bis auf dass ich inzwischen der Überzeugung bin, dass Diabetes einfach für jeden Menschen mega ungerecht ist.

Phase 3: Verhandeln. „Wenn ich dies oder das ändere, darf ich dann weiterleben?“ Es ist offenbar typisch für Sterbende, doch noch auf einen Deal zu hoffen, der ihr Schicksal umkehrt. So ging es auch mir in den Wochen nach meiner Diagnose. Zumindest auf der emotionalen Ebene. Mein Kopf wusste es natürlich eigentlich besser. Doch mein Gefühl brauchte länger um zu realisieren, dass der Diabetes nicht mehr umkehrbar ist – auch wenn ich penibel auf meine Ernährung achte, akribisch Tagebuch führe und alles unterlasse, was sich irgendwie negativ auf meine Blutzuckerwerte auswirken könnte. Auch ein Schlüsselerlebnis während meines Flitter-Wochenendes mit Christoph in Amsterdam ordne ich dieser Verhandlungsphase zu: Da zeigte mein Blutzuckermessgerät auf einmal einen unerwartet hohen Wert an (nicht mal dramatisch, einfach nur höher als ich getippt hätte). Und ich brach in Tränen aus: „Nicht mal während der Flitterwochen gibt es Pause vom Diabetes!“ Es wäre tatsächlich toll, wenn man ab und zu für besondere Gelegenheiten wie eine Hochzeit ein bisschen Urlaub vom Diabetes raushandeln könnte. Ist aber leider nicht drin. Diese Erkenntnis ist sehr bitter. Und sie kann dauern: Meine Hochzeit fand immerhin über ein Jahr nach meiner Diabetesdiagnose statt. So lange hatte ich offenbar auf der emotionalen Ebene immer noch irgendwie gehofft, mit meinem Diabetes verhandeln zu können.

Phase 4: Depression. Wenn man all diese Ungerechtigkeit und Unabwendbarkeit also wirklich realisiert hat, sie in jeder Ebene des Denkens und Fühlens angekommen ist, sinkt die Stimmung verständlicherweise auf einen Tiefpunkt. Das ist die Phase, die man gemeinhin mit Trauer verbindet, die aber bei jedem Menschen sehr unterschiedlich lang und intensiv sein kann. Bei mir dauerte sie zum Glück nicht allzu lang. Ich hatte und habe das große Glück, dass ich in meinem familiären und sonstigen sozialen Umfeld viel Rückhalt erfahren habe. Ich habe über meinen Beruf Zugang zu Wissen und Informationen rund um Diabetes, was mir natürlich auch beim Umfang mit meiner eigenen Erkrankung sehr nützlich ist. Und ich bin grundsätzlich ein lebensbejahender Mensch, dessen Glas eher halb voll als halb leer ist. Sobald ich das Gefühl habe, dass ich Einfluss nehmen und Kontrolle ausüben kann, geht es mir auch nach einer Schocknachricht gleich wieder besser. Und Faktoren, über die ich meinen Diabetes beeinflussen kann, gibt es ja zum Glück mehr als genug.

Phase 5: Akzeptanz. Die Sterbenden, die Elisabetzh Kübler-Ross befragte, zogen sich in dieser Phase in ihre eigene Welt zurück und bereiteten sich aufs Sterben vor. Das machte ich natürlich nicht. Aber im übertragenen Sinn gelangte ich ebenfalls am Ende zu dieser Phase, denn ich fand mich letztlich mit dem Unvermeidlichen ab und nahm es als Teil meines weiteren Lebens an. Ganz grundsätzlich habe ich Frieden mit meinem Diabetes geschlossen, frage nicht mehr permantent nach dem großen Warum, ignoriere ihn nicht und habe das Verhandlungsteam in den Ruhestand geschickt. Auch wenn ich manchmal traurig bin über die diabetesbedingten Einschränkungen oder zusätzlichen Ängste (Stichwort Gefahr von Folgeerkrankungen…), kann ich mir mittlerweile eingestehen, dass der Diabetes auch ein paar positive Aspekte in mein Leben gebracht hat. Ich habe sie vor ein paar Jahren einmal in einem ‚Brief an mein jüngeres Ich‘ aufgeschrieben. Natürlich gibt es immer mal wieder Momente, in denen ich mit meiner Erkrankung hadere. Dann lese ich diesen Brief an mein jüngeres ich nochmal, schlucke den Kloß im Hals runter, straffe die Schultern und schaue nach vorn.

Ihr seht also, bei mir lief das mit der Trauer und Bewältigung der Diagnose ganz klassisch nach dem Modell von Elisabeth Kübler-Ross. Falls euch die erwähnte Podcast-Folge interessiert, findet ihr sie hier (man braucht ein Audible-Abo dafür, dann sind die Podcasts allerdings kostenlos bzw. im Abopreis enthalten). Wie war das bei euch? Könnt ihr euch in den fünf Trauerphasen wiederfinden?

3 Kommentare zu “Erinnerung an meine Diagnose: Die fünf Phasen der Trauer

  1. Avatar von Im Kopf gefangen | Der Blog

    Das hast Du sehr angenehm lesbar erzählt. Tut mir leid, dass Dich eine Dich belastende Diagnose getroffen hat. Kann jedoch sehr gut nachempfinden, wie Wissen und Haltung Dir halfen, Dir Deiner Kontrolle die Du weiterhin über Deine Handlungen hast, im klaren zu werden. Wenn ich so darüber nachdenke, zogen sich die 5 Phasen der Trauer in eine Zeit von mehreren Jahren, nachdem meine Eltern mich im Jugendalter urplötzlich rausschmissen und mich der Familie verwiesen. Letztlich hilft bei jeder Belastung, die Tatsachen zu akzeptieren, und den Fokus dorthin zu legen, wo wir wirksam sein können. Danke für Deinen Beitrag.

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    • Avatar von Antje Thiel

      Hi, vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Deine Geschichte klingt sehr hart – es tut mir leid, dass du eine so belastende Kindheit und Jugend hattest! Ich hoffe, dass es dir trotzdem gelingt, deinem Leben immer wieder eine gute Richtung zu geben. Liebe Grüße, Antje

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  2. Avatar von besunni

    Du liebe, die 5 Phasen hatte ich bei meiner Diabetes-Diagnose nun nicht, dazu war ich noch zu klein/jung, um das irgendwie adäquat verarbeiten zu können (und das Umfeld wäre nicht „passend“ gewesen).

    Als ich aber dann 31 Jahre später noch die Diagnose MS bekam, habe ich diese 5 Phasen absolut durchlebt!

    Eventuell hat der Diabetes „nicht gereicht“, gut auf mich selbst zu hören, meine gesundheitlichen Bedürfnisse erstmal kennen zu lernen und diesen zu folgen.

    Wer als Kind halt mit dem Anspruch „du musst genügen“ aufwächst und alles dafür tut, andere glücklich zu machen, vergisst manchmal/oft sich selbst bei dem ganzen Spiel.

    Danke für deinen Eintrag!!! ❤️🙏🏻

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