Mein heutiger Bericht beginnt mit einem Geständnis: So langsam freue ich mich auf zu Hause. Darauf, auch mal wieder etwas anderes zu machen als zu laufen oder über das Laufen zu reden und zu denken.
Mein Körper ist müde. Es ist so eine Art Müdigkeit, die von den Füßen die Beine hoch durch den ganzen Körper bis hoch in den Kopf wandert und sich auch dort breitmacht. Ich habe in den vergangenen Tagen für meine Verhältnisse sehr viel trainiert. Wäre ich zum Beispiel vergangenen Juni zu dieser Laufreise gestartet, hätten mich die vielen Laufeinheiten mitten in meiner Triathlon-Vorbereitung getroffen und ich hätte sie deutlich lockerer weggesteckt. Aber nach einem eher trainingsarmen Winter, etlichen sehr arbeitsintensiven Wochen und dann noch einer fetten Erkältung (die leider bis heute noch nicht vollständig auskuriert ist) hat mich dieses Trainingslager ziemlich hart erwischt. Im Trainingsheft steht, man solle auch hier während der Laufreise das wöchentliche Laufpensum um nicht mehr als Faktor 3 steigern. Nun, ich verrate den Trainerinnen lieber nicht, um welchen Faktor sich meine aktuellen wöchentlichen Laufkilometer hier multipliziert haben… Ich bin also müde.
Ich will endlich mal wieder einen Cha-Cha-Cha tanzen!
Außerdem stelle ich einen leichten Laufkoller an mir fest. Ich bin ja weit davon entfernt, mich mit ganzer Leidenschaft voll und ganz auf das Laufen zu konzentrieren. Im Sommer mache ich Triathlon, weil ich die Abwechslung zwischen Schwimmen, Radfahren und Laufen mag. Es gefällt mir auch, im Fitnessstudio Gewichte zu stemmen. Einmal die Woche gehen Christoph und ich zum Tanzen (Standard-Latein), an einem weiteren Abend bin ich mit ein paar Mädels beim Bauchtanz. Hier aber wird gelaufen, gelaufen und nochmals gelaufen. Es ist ja nicht so, dass ich das nicht vorher wusste. Der Name „Laufreise“ ist Programm, und so soll es auch sein. Doch heute, als unsere Trainerin für ein kurzes Warm-up vor den mittäglichen Kräftigungsübungen ein paar lateinamerikanische Klänge einschaltete, da wollte ich endlich einmal wieder einen Cha-Cha-Cha tanzen als mich mit der Musik nur wieder für’s Laufen fit zu machen. Mein liebster Ehemann war dann so gut, später im Zimmer ein Stück von Carlos Santana aus seiner Festplatte zu fischen und mit mir einen Cha-Cha zu tanzen. In Socken, auf Fliesen, arg knapp bemessen zwischen Ess- und Couchtisch. Aber schön. 🙂
Langsamer 1,5-Stunden-Lauf in einer 8:30er Pace
Eine weitere kleine Enttäuschung heute war der 1,5-Stunden-Lauf am heutigen Nachmittag. Der Lauf selbst war prima organisiert: Für die Marathongruppe war ein 3-Stunden-Lauf in verschiedenen Gruppen angesetzt, die je nach ihren avisierten Marathon-Tempi jeweils unterschiedliche Paces liefen. Die Aufbaugruppe (zu der ich gehöre) sollte einen 1,5-Stunden-Lauf in einer Pace von 8:30 Minuten/Kilometer (also seeeehhhhrr langsam) absolvieren, es gab sogar eine Extralösung für eine Teilnehmerin, die gern einen langsamen 2,5-Stunden-Lauf machen wollte. Organisatorisch klappte alles perfekt. Mir persönlich spielte aber leider mein Zucker einen blöden Streich. Vielleicht hatte ich den Diabetes, der sich bis gestern ja ziemlich mustergültig benommen hat, heute auf die leichte Schulter genommen. Und das nimmt er einem ja gern mal krumm.
Wirkung des noch wirksamen Insulins unterschätzt
Nun, das Zuckerchaos kam so zustande: Nach den Kräftigungsübungen hatte ich gegen 13 Uhr bei einem Glukosewert von 142 mg/dl eine Banane und ein Ballisto (zusammen etwa 3 KE) gegessen und dafür einen reduzierten Bolus (2 statt normalerweise 3 IE) gespritzt. Um 14:30 Uhr, als wir uns alle zum Laufstart in der Lobby versammelten, lag mein Glukosewert bei 158 mg/dl, also perfekt um in den Sport zu starten. Leider unterschätzte ich die Wirkung des noch wirksamen Insulins von 13 Uhr, das kurz darauf vermutlich erst sein Wirkmaximum so richtig entfaltete. Bei unserem extrem gemächlichen Tempo mit niedriger Herzfrequenz wurde möglicherweise auch deutlich mehr Zucker verbraucht als es bei höherem Tempo mit höherer Herzfrequenz der Fall gewesen wäre. Alles in allem eine ungute Kombination.
Knieflattern und Körperpanik bei 74 mg/dl
Als ich schon kurz nach dem Start einen Wert von 116 mg/dl mit stark sinkender Tendenz bemerkte, warf ich schnell ein Blättchen Traubenzucker ein und hoffte, damit werde sich der Zucker schnell wieder fangen. Doch Pustekuchen: Der Wert sank weiter auf 101, 85, 79 mg/dl, immer noch mit steil sinkender Tendenz. Mist. Noch ein Traubenzucker-Blättchen. bei 74 mg/dl mit stark sinkender Tendenz musste ich pausieren. Die Knie flatterten mir und es machte sich Körperpanik breit (das ist das Wort, das für mich das Gefühl eine Hypoglykämie am besten beschreibt). Ein Mädel aus unserer Gruppe, das uns auf dem Fahrrad begleitete, blieb bei mir und meinen Gummibärchen, während die anderen weitertrabten. Ich war froh, dass ich nicht allein unterwegs war (zumal meine Begleiterin auch noch Traubenzucker dabei hatte), aber ebenso erleichtert, dass meine Hypo den anderen nicht die Tour vermasselte. Nach etwa einer Viertelstunde hatte sich mein Glukosewert wieder gefangen, bei 98 mg/dl lief ich den anderen hinterher. Die Gruppe hatte mittlerweile den Wendepunkt erreicht und kam mir auf dem Rückweg entgegen.
Sehnsucht nach meinen diabetischen Laufgenossen
Ich bin sehr froh darüber, dass alle anderen Teilnehmer der Laufreise hier sehr verständnisvoll und interessiert auf meinen Diabetes reagieren. OK, im Normalfall bereitet meine Stoffwechselstörung ja auch kaum Probleme, die irgendjemandem groß auffallen – und von stören kann erst recht keine Rede sein. Aber es ist ja schon ein Unterschied, ob andere offen auf mich zugehen, interessierte Fragen stellen oder ob sie gleichgültig darüber hinwegsehen. Ich nehme es niemandem übel, wenn er z. B. den Unterschied zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes nicht kennt und erkläre gern, was es mit meinem Typ-1 auf sich hat. Warum eine Unterzuckerung gefährlich sein kann, was gerade mit mir los ist etc. Und trotzdem habe ich mir in jenem Moment, als meine Beine flatterten und der Zucker noch nicht im Blut angekommen war, kurz meine anderen diabetischen Laufgenossen herbeigesehnt. Die halt wissen, wie es zu so einem Zwischenfall kommen kann, wie sich das anfühlt und was man dagegen tun kann. Ohne Fragen, egal wie gut und ehrlich besorgt und lieb sie auch gemeint sind. Also liebe zuckersüße Läufergemeinde, ihr wisst schon, wer sich angesprochen fühlen sollte! Sobald ich meinen Laufkoller überwunden habe, müssen wir in Kürze unbedingt unseren Diabetes-Lauftreff aus der Winterpause wecken – alles klar?
Doch jetzt ist erst einmal Schlafenszeit. Ja, richtig gelesen. Die Uhr zeigt 21:15 Uhr, und ich will ins Bett. Auch das gehört zur Laufreise. 🙂
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