Community-Events wie kürzlich der #DXStockholm könnten so toll und hip und happy sein, wenn da nicht eine Sache wäre… und zwar der beschissene Diabetes, der einem schnell auch mal querschießt bei der ganzen Community-Happiness. Wenn eine Teilnehmerin mit einer Hypo umkippt, dann geht es nämlich nicht um Zukunft und Entscheidungen, sondern einfach nur um Z-U-C-K-E-R — S-C-H-N-E-L-L.
Nicht dass wir uns falsch verstehen. Ich fand das Wochenende super, zu dem das Unternehmen Abbott mich und einen Haufen anderer europäischer Diabetes-Blogger vergangenes Wochenende nach Stockholm eingeladen hatten. „Diabetes Exchange“ (kurz DX) ist schließlich eine wichtige Sache, und zwar gleichermaßen der Austausch von uns Bloggern untereinander wie auch der Austausch mit der Industrie, die schließlich gern wissen möchte, auf welche technologischen Innovationen wir am allersehnsüchtigsten warten, worauf wir Wert legen und was uns (ihre Kunden und Multiplikatoren) Wert legen.
Mit Gehirnströmen Katzenöhrchen zum Wackeln bringen
Das Motto des diesjährigen DX lautete entsprechend „Our future, our choices“. Und so durften wir von dem belgischen Futuristen Rudy de Waele lauschen, welche exponentiellen Veränderungen Digitalisierung, das Internet der Dinge und andere Megatrends in Zukunft für uns bereithalten könnten. Der schwedische Bodyhacker Hannes Sjoblad nahm uns mit auf eine digitale Safari, während der wir unter anderem lernten, wie man als Do-it-yourself-Biologe mit destilliertem Wasser, Spüli und Ethanol DANN aus der Mundschleimhaut extrahiert. Oder wie man mit seinen Gehirnströmen Katzenöhrchen zum Wackeln bringt. Die Zukunft hält offenbar eine ganze Menge technischen Schnickschnack bereit – manches davon lustig, manches nützlich, anderes einfach nur beängstigend. Und wir müssen fortwährend Entscheidungen treffen, welchem Trend wir hinterherrennen und welchen wir ignorieren möchten – beim Management unseres Diabetes ebenso wie im restlichen Alltag.
Austausch und Diskussion mit anderen Diabetikern sind ein großer Gewinn
Dabei hilft es natürlich ungemein, sich in einer Community von Gleichgesinnten auszutauschen. In unserem Fall also Menschen, die ebenfalls Diabetes haben und darüber bloggen. Was wir im Alltag zu entscheiden haben, sind Fragen wie „Wordpress oder Blogspot?“, „Pumpe oder Insulinpen?“, „Schlauchpumpe oder Pod?“, „Freestyle Libre oder CGM?“, „mySugr oder Sidiary?“, „Diabetesdaten speichern lokal oder in der Cloud?“, „Blogposts teilen über Twitter oder Facebook?“, „Bei Hypo lieber Nutella oder lieber Apfelsaft?“, „Bolus runter oder Basal rauf?“ Und so weiter. Ihr kennt das. Über all diese Dinge mit anderen Diabetikern zu diskutieren, die ebenfalls gern am Puls der Zeit sind, ist ein ungeheurer Gewinn. Noch dazu, wenn man zu einem solchen Wochenende nach Stockholm eingeflogen wird, zwei Tage in einem schicken Hotel und in coolen Restaurants verbringt, am einen Tag einen geführten Stadtspaziergang und am anderen einen geführten Morgenlauf miteinander unternehmen kann. Bei so viel tollem Programm, so vielen spannenden Impulsen, so vielen interessanten Menschen aus ganz Europa kann man sich nach Herzenslust an seinem Diabetes erfreuen – ist das nicht eigentlich eine ziemlich coole Erkrankung?
Mit einer schweren Unterzuckerung am Buffet zusammengeklappt
Bis dann der Moment kommt, an dem Schluss ist mit der hippen Happy-Community. Beim DXStockholm war das der Moment, als Sonntag früh vor dem Frühstück Lisa mit einer schweren Unterzuckerung vor dem Buffet zusammenklappte und eine ganze Weile brauchte, bis sie sich wieder stabilisiert hatte. Wie es zu dieser Hypo kam und wie Lisa sie erlebt hat, hat sie schon hier auf ihrem Blog niedergeschrieben. Inzwischen geht es ihr (bis auf eine zerbissene Zunge und einen heftigen Muskelkater von den Hypokrämpfen) zum Glück wieder gut. Uns andere, die ringsum standen oder erst einen Moment nach ihrem Kollaps dazukamen, hat das Ereignis aber auch ganz schön mitgenommen. Viele von uns (darunter auch ich) hatten weder an sich selbst, noch bei anderen jemals eine schwere Unterzuckerung erlebt (toi toi toi!). Wir sahen Lisa zusammengekauert vor dem Buffet hocken, jemand hatte sie wieder aufgerichtet und in eine halbwegs sitzende Position gebracht. Sie schien überhaupt nicht ansprechbar zu sein. Ein paar Blogger und Mitarbeiter von Abbott schwirrten besorgt um sie herum, brachten Obstpürree im Trinkpäckchen. „Du musst nur noch trinken, es ist alles schon aufgemacht“, sagten sie ihr. Lisa verstand nicht, pulte an dem Trinkpäckchen herum, als müsse es noch geöffnet werden. „Es ist schon offen, bitte trink einfach, einfach nur dran saugen!“ Ungefähr vier Leute gleichzeitig redeten auf Lisa ein, auf Deutsch und auf Englisch. Die Panik aller Umstehenden war deutlich spürbar. Lieber eine Cola! Warum war nur niemand früher auf die Idee gekommen, Cola zu holen? Die Pumpe! Wir müssen die Pumpe ausschalten, die Insulinzufuhr unterbrechen! Lisa trägt einen Omnipod, der sich nur über die Fernbedienung steuern lässt. Weiß jemand, wie Lisas Tasche aussieht, in der sie die Fernbedienung hat? Trink die Cola aus, hier, und iss am besten davon auch noch zwei Stück.

Zum Glück geht es Lisa wieder gut. Danke für das schöne Foto, liebe Lisa!
Diabetischer Galgenhumor, versteht nicht jeder…
Ich habe keine Ahnung, wie lange sich diese ganze Aktion hinzog. Irgendwann war die Situation unter Kontrolle. Lisa hatte eine Menge Zucker zu sich genommen. Die Insulinzufuhr über ihre Pumpe war vorübergehend ausgeschaltet. Die eilig herbeigerufenen Rettungssanitäter hatten ihr intravenös Glukoselösung verabreicht. Doch sie saß immer noch völlig mitgenommen und verwirrt zusammengekauert vor dem Buffet, neben ihr ein zwei andere Leute, die sie stützten und mit ihr redeten. So langsam wurde ich nun unruhig. Das Buffet, vor dem Lisa umgekippt war, war noch immer blockiert, und ich hatte auf meinem Zimmer schon Insulin für das Frühstück gespritzt. Ich brauche zwar einen Spritz-Ess-Abstand von 20 bis 25 Minuten, aber danach muss ich dann zügig essen. Ich war nicht die einzige, der es so ging. Wir nahmen es erst einmal mit Humor: „Wenn wir nicht gleich ans Buffet kommen, dann sind wir halt die nächsten, die umkippen. Eigentlich können wir uns gleich danebenlegen.“ Diabetischer Galgenhumor eben, versteht nicht jeder, andere Diabetiker schon. Zum Glück wurde dann rasch umdisponiert: Lisa konnte noch eine Weile vor dem Buffet sitzenbleiben und sich ausruhen, wir anderen gingen nach unten ins Restaurant ans reguläre Frühstücksbuffet. Keine weiteren Unterzuckerungen, der Rest des Events verlief ohne Zwischenfälle.
Dennoch war die Stimmung ein wenig getrübt. Alle schauten deutlich nachdenklicher drein als zuvor. Denn Momente wie dieser führen einem nämlich knallhart vor Augen, dass es bei Typ-1-Diabetes eben nicht in erster Linie um hippe Happy-Community geht. Sondern um eine beschissene Stoffwechselkrankheit, die einem mächtig den Tag versauen und einen im schlimmsten Fall überraschend vorzeitig ins Grab bringen kann.
Ich habe den DXStockholm auf Einladung von Firma Abbott besucht. Mein Blogbeitrag spiegelt meine eigene, vom Gastgeber unbeeinflusste Meinung wider.
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8. Juni 2016 um 16:18
Lisa, schön, dass du alles gut überstanden hast! Solche geschilderten Symptome bringen die Meisten wieder auf den Boden der Tatsachen! Bislang habe ich alle Hypos seit 45 Jahren früh genug entdeckt und bete, dass es auch so bleibt. Dies ist der Grund, warum ich kein anderes Insulin will, auch wenn ich mit dem zugenommen habe, aber ich kenne meine Hypo Reaktionen! Drücken wir uns die Daumen, dass wir alles gut überstehen können.
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7. Juni 2016 um 20:28
Schön, dass es dir wieder gut geht Lisa!! War sicherlich eine Erfahrung… 🙈
Liebe Grüße,
Beate
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8. Juni 2016 um 14:07
Vielen leiben Dank! 🙂
Ja, ich kenne das leider schon. In der Pubertät hatte ich ziemlich starke Probleme mit solchen Unterzuckerungen. Mittlerweile sind sie sehr selten, zum Glück 😉
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7. Juni 2016 um 20:26
Uff…!! 😳
Selber habe ich bisher bei jemand anderem noch keinen schweren UZ miterlebt – bei mir selbst schon, also zumindest war ich da wohl dabei..
Ich muss wohl ziemlich wirres Zeug geredet haben und völlig von der Rolle gewesen sein.
Mein (damals noch nicht, jetzt aber schon) Mann hat das gemerkt und mir gleich ein Glas Cola hingestellt.
Das ist auch bei mir so der Nothelfer und muss immer zuhause verfügbar sein.
Ich spüre es schon, wenn sich der BZ-Spiegel ändert und dennoch messe ich lieber einmal zuviel als zuwenig. 🤔
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7. Juni 2016 um 20:00
Danke für diesen Beitrag! Für mich hat es die ganze Situation noch mal zurückgeholt, aber im guten Sinne. Ich finde es immer furchtbar, dass ich mich an nichts erinnere und nicht weiß, was wirklich passiert ist. Viele habe ich deswegen auch schon ausgequetscht, aber nun kann ich mir die Situation noch mal besser vorstellen. Das mit den Getränke habe ich zum beispiel gar nicht mitbekommen. Das erste an das ich mich erinnere, sind tatsächlich die Sanitäter und dass das Buffett schon längst weg war.
Mir ist es wirklich furchtbar unangenehm, dass ich das ganze Event dann noch so aufgemischt habe. Aber um mal auf den diabetischen Galgenhumor zu kommen, mit dem ich immer versuche solche Situationen zu lösen:“Ich wollte euch eben noch schnell einen Hypo-Workshop verpassen 😉
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7. Juni 2016 um 20:05
Yo, besten Dank auch! Du bist eine 1a-Dozentin! 😀
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