Am vergangenen Sonntag war ich in Berlin beim T1Day und wurde dort von Miriam Lesner auf mein Buch „In guten wie in schlechten Werten“ angesprochen. Miriam hat einen Bruder mit Typ-1-Diabetes. Sie besucht die 9. Klasse und hat sich im Rahmen einer Facharbeit damit auseinandergesetzt, wie die chronische Erkrankung sich auf den Alltag in ihrer Familie auswirkt.
Bei der Recherche für ihre Facharbeit ging es Miriam ähnlich wie mir, als ich seinerzeit nach Input für mein Buch gesucht habe: Es gibt kaum Bücher, die sich mit dem Thema „Typ F“ beschäftigen und Angehörigen Tipps geben, wie man Typ-1-Diabetes gut in den Familienalltag integrieren kann. Miriam wurde allerdings auf mein Buch aufmerksam und hat in ihrer Facharbeit an etlichen Stellen daraus zitiert. Die Facharbeit ist übrigens wirklich gut – hier war eindeutig eine vielversprechende Nachwuchswissenschaftlerin am Werk! Und damit nun möglichst viele Menschen sie lesen können, veröffentliche ich sie hier als Gastbeitrag.
Ab jetzt hat nun also Miriam Lesner das Wort:
Diagnose Diabetes Typ 1. Wie sehr verändert sich der familiäre Alltag mit der chronischen Krankheit?
Miriam Lesner, Klasse 9d
Fach: LER, Abgabetermin: 20.12.2019, Wörterzahl: 6706
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Vorwort
„Wie ich diesen Satz hasse: Mit Diabetes kann man gut leben. Leider kommt diese Aussage immer von Leuten, die davon keine Ahnung haben. Gerne können wir tauschen. Schaut ihr mal täglich 5-8-mal zu, wie sich euer Kind spritzen muss und ihm dabei immer wieder die Tränen kommen. Versucht ihr euch mal keine Gedanken über die Folgeerkrankungen zu machen. Berechnet ihr mal täglich die Insulindosis, die eurem Kind das Leben rettet. Steht ihr mal täglich mindestens einmal in der Nacht auf, um den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren.“
Mein Bruder leidet seit Januar 2019 an der unheilbaren Autoimmunkrankheit Diabetes Typ1. Nach einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt versuchen wir, einen weitgehend normalen familiären Alltag zu leben. Vieles hat sich verändert und die obige Aussage meiner Mutter, die sie ca. sechs Wochen nach der Diagnose als WhatsApp Status verfasst hat, macht deutlich, was die Erkrankung für neue familiäre Anforderungen stellt, die es fortan für uns alle zu meisten gilt. Unser Ziel ist klar definiert: „Der Diabetes soll innerhalb eines Jahres nicht mehr den familären Alltag bestimmen, muss aber stets präsent bleiben und zur wichtigsten Nebensache werden.“ Diesen eindringlichen Satz sagte uns die Diabetologin während einer der vielen Schulungen im Krankenhaus, die mein Bruder, meine Eltern und auch ich zu absolvieren hatten.
Aber ist das überhaupt möglich? Seit der Diagnose ist der Diabetes meines Bruders in unserer Familie ständig präsent. Wie soll es da gelingen, dass er so zur Nebensache wird? Noch erleben wir zu viele Einschränkungen, Unsicherheiten und Belastungen. Empfinden nur wir das so oder trifft das auch auf andere Familien zu, dem sogenannten TypF? Dies ist die zentrale Fragestellung meiner vorliegenden Facharbeit. Es ist mir persönlich ein großes Anliegen, darauf eine möglichst positive Antwort geben zu können. Als ich mit der Literaturrecherche begonnen habe, stellte ich relativ schnell fest, dass es wenig Material gibt. Einzig die DAWN2-Studie aus dem Jahr 2013 befasste sich erstmals mit den familiären Belastungen. Daher entschied ich mich, eine eigene Umfrage über Instagram zu starten, um weitere Antworten zu erhalten. Ich habe sehr unterschiedliche Aussagen erhalten, die es differenziert zu betrachten gilt. Darauf werde ich im Verlauf meiner Facharbeit immer wieder Bezug nehmen. Hauptsächlich werde ich jedoch die Veränderungen unseres eigenen familiären Alltags schildern und erläutern, inwiefern es möglich ist, dass der Diabetes tatsächlich zur Nebensache wird.
Frühzeitig haben wir erfahren müssen, dass die vielen Vorurteile über diese Krankheit diesen Prozess für uns erschweren, denn die meisten Menschen assoziieren mit Diabetes den Typ 2, der meist im fortgeschrittenen Alter durch ungesunde Ernährung, Übergewicht oder nicht genug Bewegung verursacht wird. Die obige Aussage meiner Mutter ist eine Reaktion darauf gewesen.
In meiner Facharbeit möchte ich daher zunächst eine Sachanalyse vornehmen und verdeutlichen, was es mit der Erkrankung Diabetes Typ1 auf sich hat.
- Sachanalyse: Was ist Diabetes Typ1?
Diabetes Typ1 eine lebenslange Autoimmunerkrankung, die plötzlich in Erscheinung tritt und unheilbar ist.
In einer gesunden Bauchspeicheldrüse, die auch Pankreas genannt wird, bilden die sogenannten Betazellen das lebensnotwendige Hormon Insulin. Dieses wird benötigt, damit der Energiestoffwechsel des Menschen funktioniert. Bei Menschen mit Diabetes Typ 1 sind aus einer nach wie vor nicht geklärten Ursache die Betazellen der Bauchspeicheldrüse unwiederbringlich zerstört worden. Dies betrifft meistens Kleinkinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren, kann jedoch auch schon bei Neugeborenen auftreten sowie bei Erwachsenen jeden Alters.
Diabetes Typ1 ist eine seltene Erkrankung. Gegenwärtig vermutet man, dass in Deutschland etwa 25000 Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 20 Jahren und etwa 300000 Erwachsene[1] davon betroffen sind. Das entspricht etwa 0,4% der Bevölkerung.
Es gibt weitere Arten des Diabetes: Typ2, Typ3 und Typ4. Am häufigsten tritt der Diabetes Typ2 bei Erwachsenen auf. Daran sind in Deutschland etwa 8 Millionen Menschen erkrankt, was etwa 10% der Gesamtbevölkerung entspricht. Bei diesem Diabetestyp wird noch immer genug Insulin gebildet, da die Betazellen nicht zerstört worden sind, seine Wirksamkeit ist jedoch zumeist aufgrund einseitiger Ernährung und mangelnder Bewegung eingeschränkt.[2] Diabetes Typ3, der sehr selten in Erscheinung tritt, wird weder durch Insulinmangel oder Insulinwirkverlust verursacht, sondern umfasst mehrere Sonderformen, die als Folge einer anderen Erkrankung auftreten können. Diabetes Typ4 ist der sogenannte Schwangerschaftsdiabetes, auch Gestrationsdiabetes genannt.
Als wissenschaftlich gesichert gilt, dass die Erblichkeit, äußere Einflüsse wie Viruserkrankungen und Autoimmunprozesse bei der Entstehung des Typ1 Diabetes eine Rolle spielen. Das Zusammenwirken der Faktoren, der den Prozess der Zerstörung der Betazellen letztlich in Gang setzt, ist trotz intensiver Forschung noch nicht geklärt. Als gesichert gilt, dass es sich beim Typ-1-Diabetes um eine Fehlsteuerung des Immunsystems handelt.[3]
Der Blutglukosespiegel liegt bei gesunden Menschen zwischen 65 und 125 mg/dl. Bei Insulinmangel kommt es zum Anstieg des Blutglukosespiegels auf Werte über 125 mg/dl. Das wird als Hyperglykämie (zu hohe Blutzuckerwerte) bezeichnet. Bei Auftreten des Diabetes liegt der Blutglukosespiegel meist über 200 mg/dl. Als Hypoglykämie (zu niedrige Blutzuckerwerte) bezeichnet man Blutglukosewerte unter 65 mg/dl. Hypoglykämien können auftreten, wenn bei Diabetes zu viel Insulin oder zu wenig Nahrung gegeben wurde. [4]
Beim Diabetes Typ1 sind noch vor der eigentlichen Diagnose die Blutzuckerwerte dauerhaft erhöht, so dass häufig folgende Beschwerden auftreten: sehr starkes Durstgefühl, häufiges Wasserlassen, Gewichts- und Flüssigkeitsverlust, Müdigkeit und Antriebsschwäche sowie eine geringere Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Es geht dem Betroffenen über einige Tage bzw. Wochen zunehmend schlechter, ehe der Arzt durch einen einfachen Blutglukosetest und ggf. einem zusätzlichen Urintest die Diagnose stellt. Ist der Blutzuckerspiegel sehr stark erhöht, kann es auch zu Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit (diabetisches Koma) kommen. Daher ist die sofortige Überweisung ins Krankenhaus unumgänglich, so dass man schnellstmöglich mit der Behandlung beginnen kann. Etwa 10-20% aller Kinder mit neu entdecktem Diabetes weisen eine schwere Stoffwechselentgleisung auf, die als diabetische Ketoazidose bezeichnet wird.[5]
Während der Zerstörung der Betazellen sind zunächst keine der oben genannten Symptome erkennbar. Der Blutzuckerspiegel steigt unbemerkt an. Den Diabetes erkennt man erst, wenn nur noch 15-20% der Betazellen funktionieren. Diese können bisher trotz sofortiger Behandlung und einsetzender Remissionsphase jedoch auch nicht gerettet werden.
Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes liegt immer ein (…) Insulinmangel vor. Die wichtigste Behandlungsmaßnahme besteht darin, das fehlende Insulin zu ersetzen.[6]
Noch vor 100 Jahren sind die Menschen an Diabetes aufgrund des Insulinmangels gestorben. Erst nachdem die beiden Wissenschaftler Frederick Grant Banting und Charles Best 1921 das lebensnotwendige Hormon aus der präparierten Bauchspeicheldrüse eines Hundes gewonnen hatten, konnte es 1923 erstmals industriell isoliert und hergestellt werden. Seitdem können es sich die Patienten entweder mehrmals täglich nach einer genauen Berechnung der Einheiten spritzen oder über eine Pumpe zuführen.[7]
Die DAWN2 Studie
DAWN2 ist eine internationale Studie aus dem Jahr 2013. Die Abkürzung steht für Diabetes, Attitudes, Wishes and Needs (Diabetes, Einstellungen, Wünsche und Bedürfnisse), was bereits im Logo der Studie (oben auf der Seite) deutlich wird. Die Studie ist die bisher einzige ihrer Art und gilt als Meilenstein, weil hier erstmals (…) auch die Bedeutung und die Belastung der Angehörigen beleuchtet wurden.[8] So zählt die Studie insgesamt 15438 Teilnehmer aus 17 Ländern und vier Kontinenten. Befragt wurden erstmals nicht nur die betroffenen Menschen mit Diabetes selbst, sondern auch u.a. auch Familienangehörige, Vertreter von Patientenorganisationen und Diabetologen. Dipl. Psychologe Peter Mattenklodt bezeichnet die Angehörigen als die wichtigste Quelle an sozialer Unterstützung für die Betroffenen und stellt fest, dass auch ihr Leben durch den Diabetes maßgeblich beeinflusst und belastet ist.[9] Durch die DAWN2 Studie sollte mehr Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen mit der Krankheit und gleichermaßen ihren Familien geschafft werden. Bis dahin hatte man noch keine Vorstellung davon, als wie groß diese Belastung erlebt wird. Die DAWN2-Studie offenbarte: Angehörige fühlen sich durch den Diabetes in hohem Maße psychisch gestresst und in der Gestaltung ihres Alltags eingeschränkt – und zwar nahezu ebenso stark wie die Betroffenen selbst.[10] Dies kann man in der folgenden Übersicht anhand der zweiten Säulen gut erkennen. Betrachtet man die Sorgen bzgl. auftretender (nächtlicher) Hypos, hier anhand der dritten und vierten Säulen dargestellt, so machen sich die Angehörigen (hier in dunkelblau: Ang.) in Deutschand sogar noch mehr Sorgen als die Menschen mit Diabetes (hier in hellblau: MmD) selbst.
Laut den Befragten wirkt sich der Diabetes auf viele Lebensbereiche aus. 26% der Betroffenen belastet er bei der Ausbildung und Arbeit, 38% bei Freizeitaktivitäten und bei 23% der Befragten führt es zur Beeinträchtigung durch die Medikation. 41% schildern, dass der Diabetes ihr emotionales Wohlbefinden belastet, 30% werden finanziell beinträchtig und ganze 56% belastet die körperliche Gesundheit. Die Experten sind sich einig, dass die Einbeziehung der Familienangehörigen und der engen Freunde, dem sogenannten TypF, ein wesentlicher Bestandteil einer guten Diabetesversorgung ist. Daher sollen auch sie vermehrt an Schulungen teilnehmen. Die Ergebnisse der DAWN2 Studie von 2013 zeigen zudem deutlich den großen Unterschied zwischen den pyschologischen Aspekten und dem gesellschaftlichen Umgang[11] auf. Als ein Ziel wurde die Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz mit Diabetes formuliert.[12]
- Instagram Befragung
Die beschriebene DWAN2 Studie hat zwar die Belastungen der Diabeteserkrankung auch für die Angehörigen erstmals erläutert, dennoch wurde auf den Prozess der Krankheitsakzeptanz, der meiner Meinung nach die Betroffenen und Angehörigen gleichermaßen betrifft, in keinster Weise eingegangen. Dass sich der familiäre Alltag verändert, ist unumstritten. Aber in welchem Ausmaß dies geschieht, wie es die Betroffenen und ihre Angehörigen kurz nach der Diagnose empfinden und wie es sich im Laufe der Jahre verändert, dazu habe ich keine Antworten gefunden. Einzig das Buch „In guten wie in schlechten Werten“ von Antje Thiel, das im Jahr 2018 veröffentlicht worden ist, porträtiert 15 Familien und beschreibt, was sich in Familien verändert, wenn ein Mitglied die Diagnose Diabetes erhält. Ich beschloss daraufhin im Oktober 2019, eine eigene Befragung durchzuführen und hierfür einen Account auf der Internetplattform Instagram zu eröffnen. Diesen nannte ich „diabetes_typ1_und_typf“. Mein Ziel bestand darin, in kurzer Zeit möglichst viele Betroffene zu erreichen und ihnen insgesamt die folgenden sechs Fragen zu stellen.
- Bitte stelle dich kurz vor. (Typ1 oder TypF, seit wann?…)
- Was hast du unmittelbar und in den ersten Tagen nach der Diagnose empfunden?
- Wie lange hat es gedauert, bis der Diabetes in den Alltag gut integriert worden ist?
- Welche Veränderungen im Alltag empfindest du als besonders gravierend?
- Wie sehr hat sich der familiäre Alltag mit der chronischen Krankheit verändert?
- ,,Mit Diabetes kann man gut leben“. Was denkt ihr, wenn ihr mit diesem Satz konfrontiert werdet?
Insgesamt habe ich 52 Betroffene angeschrieben, von denen mir leider nur zwölf geantwortet haben. Das entspricht einer Beteiligung von 23%. Diese doch sehr geringe Rücklaufquote hätte ich nicht erwartet, zumal dem Account mittlerweile sogar 58 Personen folgen. Ich vermute, dass sie Interesse haben, was andere denken, sich jedoch aus persönlichen Gründen nicht äußern wollen oder ihnen schlichtweg die Zeit fehlt. Von den zwölf Personen, die geantwortet haben, sind sechs dem Typ1 zuzuordnen, fünf Personen dem TypF und eine Person beiden Diabetestypen.

(Grafische Darstellung: Miriam Lesner)
Die Antworten, die ich von ihnen erhalten habe, sind sehr interessant und müssen differenziert betrachtet bzw. ausgewertet werden. Jeder Betroffene geht mit dem Diabetes anders um. Vor allem das Alter zum Zeitpunkt der Diagnose und wie lange man schon damit lebt, haben doch teilweise sehr unterschiedliche Antworten zum Alltag mit dem Diabetes ergeben. Mit manchen Betroffenen habe ich mich sogar noch etwas ausführlicher austauschen können. Die Antworten zu meinen sechs Fragen aller zwölf Teilnehmer meiner Umfrage sind im Anhang meiner Facharbeit zu finden.
- Der Alltag mit der chronischen Erkrankung
5.1 Die ersten Tage mit der Krankheit- Kein Alltag in Sicht
Erhält man die Diagnose Diabetes Typ1, so ist die Krankheit bei den meisten Patienten schon derart fortgeschritten, dass ein Krankenhausaufenthalt unumgänglich ist. In Anbetracht der doch scheinbar harmlos wirkenden Symptome wie z.B. vermehrter Harndrang, Konzentrationsschwäche und Abgeschlagenheit wird dies als eine Art Schock empfunden, da man weder mit dieser weitreichenden Diagnose noch mit der Notwendigkeit einer stationären Behandlung rechnet. Zunächst geht es darum, dem Patienten das dringend notwendige Insulin zuzuführen, damit der Blutzuckerspiegel wieder zu sinken beginnt. Für eine differenzierte Aufklärungsarbeit steht in den ersten Stunden keine Zeit zur Verfügung und so sind die Patienten und ihre Angehörigen zunächst einmal mit ihren Gedanken, Sorgen, Ängsten und Fragen mehr oder weniger auf sich gestellt. Meinen Eltern wurde noch während der Ersten Hilfe im Krankenhaus mitgeteilt, dass diese Krankheit unheilbar ist. Dies hat meine Mutter derart geschockt, dass sie zunächst nicht bereit war, dies zu glauben und noch auf weitere Untersuchungsergebnisse hoffte. Die Ernsthaftigkeit der Situation wurde noch verschärft, nachdem mein Bruder aufgrund seiner schlechten Blutzuckerwerte auf die Intensivstation verlegt worden ist. Natürlich stand keine Zeit für Aufklärung zur Verfügung und so fingen meine Eltern an, sich selbst im Internet zu informieren. Ihnen wurde schnell klar, dass dieser Tag der Diagnose meines Bruders eine gravierende Veränderung im bisherigen Familienleben mit noch ungewisser Reichweite bedeuten würde. Auch andere Typ 1 Diabetiker oder Typ F Angehörige beschrieben die Situation ähnlich, als ich sie über meinen Instagram- Account fragte, was sie unmittelbar danach empfunden hatten: ,, Einsamkeit, Rollstuhl, Dialyse, Beine ab…Kein Scheiß. Die Gedanken hatte ich in den ersten Tagen in der Klinik.“ (Typ 1, Diagnose mit 30 Jahren)/ ,,Uns hat es den Boden unter den Füßen weggezogen, als wir die Diagnose gehört haben. Wir hatten überhaupt keine Erfahrung mit Diabetes Typ 1 und unser Sohn war noch so klein.“ (Typ F, Sohn bei Diagnose 3 Jahre alt)/ ,, Ich war total geschockt und wusste nicht, ob ich wieder ein schönes Leben wie zuvor führen könnte.“ (Typ 1, Diagnose mit 12 Jahren). Mein Bruder blieb mit meiner Mutter fast zwei Wochen in der Klinik. Es ging ihm schnell wieder besser und doch durfte er noch nicht entlassen werden. Von nun an standen jeden Tag Schulungen auf dem Programm, was es tatsächlich mit der Krankheit auf sich hat und wie sie fortan in den familiären Alltag eingebunden werden muss. Mein Vater pendelte ununterbrochen zwischen dem Krankenhaus und unserem Zuhause hin und her. Dadurch war kein Alltag in Sicht, den wir uns alle so sehr zurückwünschten. Uns war schnell bewusst, dass sich fortan unser Familienleben verändern würde und wir strebten an, den Diabetes lediglich zur wichtigsten Nebensache werden zu lassen. Wir waren entschlossen, die vielen neuen Herausforderungen und Einschränkungen bestmöglich zu meistern, ohne zu ahnen, mit welcher Disziplin man sich der Krankheit tatsächlich täglich und immer wieder anders zuwenden muss.
5.2 Zurück in den Alltag- Ist dies überhaupt noch möglich?
Das ständige Blutzuckermessen, Kohlenhydrate berechnen und Insulin spritzen gehört seit der Diagnose Diabetes Typ1 zu unserem fortan veränderten Alltag. Da die Esseneinnahme mehrmals täglich erforderlich ist, ist es ein fortwährender Kreislauf. Hierbei müssen verschiedene Dinge berücksichtigt werden. Vor jeder Mahlzeit müssen die Kohlenhydrate, die mein Bruder essen möchte berechnet werden. In fast allen Lebensmitteln sind diese enthalten. Ausnahme bilden Salat und Gemüse, Eier, Käse und Fleisch. Auf der Verpackung der Lebensmittel und Getränke ist die Menge der Kohlendrate meistens pro 100g bzw. pro 100ml oder manchmal auch pro Portion aufgedruckt. Da mein Bruder aber häufig mehr als nur 100g/ml essen/trinken möchte, wendet er mit Hilfe meiner Mutter den Dreisatz an, nachdem das Essen gewogen worden ist. Dies wird für jedes kohlenhydratreiche Lebensmittel gemacht, das er bei einer Mahlzeit zu sich nehmen möchte. Alle Kohlenhydrateinheiten (KE), die häufig auch als Broteinheiten (BE) bezeichnet werden, werden addiert und anschließend noch mit einem individuellen Faktor multipliziert. In der Berechnung muss zudem der aktuelle Blutzuckerwert berücksichtigt werden und ggf. eine Korrektur stattfinden. Auch entscheidet sich aufgrund des Blutzuckerwerts, ob das Insulin vor oder nach der Esseneinnahme gespritzt wird. Weiterhin muss bedacht werden, ob nach der Mahlzeit eine sportliche Betätigung geplant ist, die den baldigen Blutzuckerwert beeinflussen könnte. Rechnen, Messen, Spritzen, Essen und alles wieder von vorn. Diesen Ablauf erlebt ein Mensch mit Diabetes Typ1 drei- bis fünfmal täglich.
Beispiel einer Berechnung für ein Mittagessen:
Ziel einer jeglichen Berechnung ist es, dass der Blutzuckerwert im sogenannten Normbereich bleibt. Dieser liegt bei einem Mensch mit Diabetes zwischen 70-180mg/dl. Jeder Körper spaltet die Kohlenhydrate der Lebensmittel unterschiedlich schnell bzw. langsam auf. Zudem spielen alltägliche Stressfaktoren (Schule, Arzttermine, Besuch, …) eine Rolle, so dass es immer zu Schwankungen kommt, die es bei der nächsten Mahlzeit wieder zu korrigieren gilt. Des Weiteren muss der sogenannte Spritz-Ess-Abstand von 2,5 Stunden eingehalten werden. Die Spontanität des Essens ist durch den Diabetes verloren gegangen. „Für uns ist das Schlimmste, dass sie nicht einfach an den Kühlschrank gehen kann, wenn sie Hunger hat, alles abgesprochen und gewogen werden muss und wenn sie einfach nur zu einer Freundin möchte, muss man telefonisch immer erreichbar sein.“ (Typ F seit acht Jahren – alleinerziehende Mutter), „Auch wenn es mittlerweile das Normalste der Welt ist, vor dem Essen und danach meinen Blutzucker zu kontrollieren, Kohlenhydrate zu berechnen und mich zu spritzen, ist genau das die gravierendste Veränderung für mich. Ich muss einen Heiden Aufwand betreiben um so etwas simples wie Essen zu können. Mit Diabetes muss man Essen erst einmal komplett neu lernen.“ (Typ1 Diabetes seit 16 Jahren).
Da es trotz genauester Berechnung der zu spritzenden Insulineinheiten immer wieder zu Schwankungen kommt, ist es hilfreich, ein sogenanntes Blutzuckertagebuch zu führen. Die Werte geben einen Überblick und begründen, wenn aufgrund zu großer Abweichungen andere Faktoren in die Berechnung einfließen sollen. Das Essen für meinen Bruder zu Hause zu berechnen, stellt für uns keine allzu große Schwierigkeit mehr dar. Wenn er unterwegs etwas zu sich nimmt und dort nicht die KEs angegeben sind (z.B. Brötchen, Popcorn, Pommes, Buffet, …), ist es häufig sehr schwierig herauszufinden, wie viel er sich denn nun spritzen muss. Auch wenn man als Mensch mit Diabetes Typ1 tatsächlich noch alles essen darf, was man möchte, hat man dazu aufgrund des enormen Aufwands und der mitunter schmerzenden Spritze häufig keine Lust mehr.
Bei meinem Bruder ist die Spontanität des Essens sehr stark eingeschränkt und es kullern immer wieder mal die Tränen. Dies erschwert wiederum den Prozess den Diabetes zu akzeptieren. Wenn wir zusammen sind, gibt es immer diese typischen Fragen. Wann darf er was und wie viel essen/trinken? (Typ F seit 10 Monaten). Die alltägliche Esseneinnahme in der Schule stellte meinen Bruder und meine Eltern vor eine große Herausforderung und es gelang nur durch die Unterstützung einer sich freiwillig zur Verfügung stellenden pädagogischen Hilfskraft, dass mein Bruder nach wie vor gemeinsam mit seinen Mitschülern in der Schule ein warmes Mittagessen wie einnehmen kann und somit keine Ausgrenzung erfahren musste. Ganz anders traf es eine Familie, die in dem Buch „In guten wie in schlechten Werten“ porträtiert wird. „Als Milena 2008 an Typ-1-Diabetes erkrankte und nach 14 Tagen Klinikaufenthalt wieder in den Hort gehen sollte, bekam Jamilah (ihre Mutter) die Kündigung des Betreuungsvertrags in die Hand gedrückt. Die Leitung der Einrichtung weigerte sich, die Verantwortung für Milenas Diabetes zu übernehmen. Dies bedeutete für die alleinerziehende Mutter 2,5 Jahre Arbeitslosigkeit.[13]
Da Menschen mit Diabetes Typ 1 bei zu niedrigen Blutzuckerwerten keinen Sport machen dürfen, da ansonsten die Gefahr einer Hypoglykämie mit möglicher Ohnmacht besteht, beeinflusst dies auch den Schul- und Vereinssport meines Bruders sehr stark. Es ist dann erforderlich, dass er sogenannte schnelle KEs in Form von Traubenzucker oder Fruchtsäften zu sich nehmen und abwarten muss, bis diese den Blutzuckerspiegel wieder ansteigen lassen. Auch das spontane Treffen mit Freunden ist so wie früher für ihn nicht mehr möglich und so kommt der Besuch meistens zu uns. Auf Klassenfahrt musste ihn mein Vater begleiten, da er ansonsten an dieser nicht hätte teilnehmen können. An die ständigen Über- bzw. Unterzuckerungen haben wir uns nach fast einem Jahr gewöhnt und wir wissen gut Bescheid, wie man mit diesen umgehen muss. Als problematisch beschreiben viele Menschen mit Typ1 und TypF Diabetes die Gefahr von nächtlichen Unterzuckerungen, die jederzeit, auch wenn man mit guten Werten zu Bett gegangen ist, auftreten können. In den ersten Monaten war es daher erforderlich, dass meine Eltern jede Nacht mindestens einmal, manchmal auch drei- bis viermal die Werte meines Bruders überprüften. Mittlerweile trägt er einen Sensor am Arm, der den sogenannten Gewebezucker kontinuierlich misst und bei Werten außerhalb des Normbereichs Alarm gibt. Dies geschieht gegenwärtig immer einige Male pro Woche, so dass auch nachts Saft getrunken oder Insulin gespritzt werden muss. Es gibt jedoch auch Nächte, in denen mein Bruder und meine Eltern durchschlafen können. Der Diabetologe meines Bruders hat berichtet, dass nicht alle Familien dem Sensor am Arm vertrauen können, so dass diese nächtliche Erleichterung für sie nicht besteht bzw. sie diese für sich nicht in Anspruch nehmen wollen.
Eine zusätzliche Belastung stellen die vielen möglichen Folgeerkrankungen dar, über die man immer wieder nachdenkt. Karin Lange, Leiterin der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannovers sagt dazu in der dritten Ausgabe des Diabetes Fokus 2018: ,,Grübeln hilft nicht. Lieber auf das konzentrieren, was man steuern kann.“ [14] Und damit hat sie Recht. Trotz der Krankheit versuchen wir unser Leben zu genießen. Der Diabetes bestimmt in vielerlei Hinsicht unseren Alltag und er erfordert immer wieder enorme Disziplin aller Familienmitglieder. Meine Instagram-Befragung ergab, dass es in den Familien unterschiedlich lange gedauert hat, bis der Diabetes gut in ihren Alltag integriert worden ist. Bei manchen klappte es nach eigener Einschätzung tatsächlich schon nach ein paar Tagen, bei anderen hat es Monate und auch Jahre gedauert.
Auch in unserer Familie dauert dieser Prozess des Akzeptierens und stark mit ihm zu sein immer noch an.
- Fazit
Der Alltag mit Diabetes Typ 1 ist für meine Familie ein anderer als vor der Diagnose. Die Erkrankung mit all ihren Facetten wird für immer unsere Begleiter sein, Unter- und Überzuckerungen, tägliche Spritzen, Kohlenhydratberechnungen sowie die Angst vor möglichen Folgeerkrankungen. Es war und ist eine Herausforderung, die wir als Familie gemeinsam meistern.
Chefredakteur Jochen Niehaus der Zeitschrift ,,Diabetes Fokus“ sagt: ,,Der Diabetes macht einen nicht froh. Es ist eine ernste Erkrankung mit potenziell tödlichen Folgen. Aber klar ist auch: Wer seine Zuckerwerte im Griff hat, kann ohne körperliche Einschränkungen ganz normal und lange leben. Glücklich leben, gelingt jenen, die zudem auch die psychischen Belastungen in den Griff bekommen.“[15]
Wie sehr sich der Alltag mit dem Diabetes verändert, ist von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Dies konnte ich meiner Instagram-Umfrage entnehmen. Ein erwachsener Patient, der im Alter von 30 Jahren diagnostiziert worden ist, schrieb mir: ,,Mein Alltag hat sich durch die Erkrankung nicht verändert. Alles ist normal.“ Eine Mutter eines jetzt sechsjährigen Kindes, das mit drei Jahren die Diagnose erhalten hat, äußerte hingegen: ,,Es hat sich schon viel verändert. Er war damals zu klein, um zu verstehen, dass es ihm besser geht, wenn er Insulin bekommt. Aber natürlich ist es jetzt immer noch doof, weil er nicht bei anderen Kindern übernachten kann. Mein Sohn freut sich, wenn er endlich selbst lesen kann, damit er alleine wohin gehen und sich selbst Insulin spritzen kann. Er wird damit groß – wir alle werden es.“. Aus diesen beiden doch sehr unterschiedlichen Aussagen lässt sich ableiten, dass es eine sehr große Rolle spielt wann man die Diagnose erhalten hat. Für einen Erwachsenen, der bereits selbstständig ist, wird sich nach einer Umgewöhnungsphase nicht so viel am familiären Alltag verändern wie bei einer Familie, in der ein Baby oder Kleinkind die Diagnose erhält. Auch den Satz ,,Mit Diabetes kann man gut leben“ bewertet jeder Betroffene unterschiedlich. Eine Mutter Typ F schreibt: ,, Da bekomme ich schon wieder Wut. Manche Kinder bekommen ja noch nicht mal eine Schulbegleitung, obwohl dies so im Gesetz steht. Ätzend! Diabetes ist eine so gemeine Krankheit.“ Eine Patientin mit Diabetes Typ 1 gab mir gegenüber an: ,, Das ist eine Frage der Einstellung. Hätte man mir diesen Satz vor ein paar Jahren gesagt, wäre ich explodiert, weil unsere Krankheit gerne verharmlost wird und viele Außenstehende gar nicht wissen, wie viel Arbeit Diabetes in Wirklichkeit ist. Das hängt wahrscheinlich auch noch damit zusammen, weil der Typ 1 gerne mit Typ 2 gleichgesetzt wird. Dabei sind es zwei völlig unterschiedliche Krankheiten und Therapien. Wir werden nicht gesund, wenn wir abspecken und unsere Ernährung umstellen. Heute würde ich auf die Aussage ,,Mit Diabetes kann man gut leben.“ mit ,,Stimmt genau.“ antworten ,,aber es war ein langer und harter Weg dahin!“ Der medizinische Fortschritt macht das Leben mit Diabetes immer einfacher und normaler. Wenn man dann auch noch seine Familie an seiner Seite hat, ist das Leben mit Diabetes richtig schön.“ Weiterhin äußerte sie: „Aktuell lebe ich mit meinem Partner zusammen. Wir haben einen ganz normalen Alltag, er unterstützt mich, der Diabetes läuft mit und spielt keine besondere Rolle in unserem Alltag.“. Diese Patientin hat es geschafft, den Diabetes zur Nebensache zu machen. Dieses Ziel verfolgen wir als Familie auch nach wie vor. Die Worte unserer Diabetologin, die ich bereits im Vorwort zitierte, begleiten uns täglich. Meiner Meinung nach ist es uns nach zehn Monaten schon ganz gut gelungen, in einen normalen, wenn auch etwas anderen Alltag zurückzukehren, da wir immer öfter auch unbeschwerte Momente genießen können und einfach schneller geworden sind, wenn etwas gewogen, berechnet und Insulin gespritzt werden muss oder die vielen Utensilien für unterwegs gepackt werden müssen. Meine Mutter äußert auch heute noch sehr oft, dass man mit Diabetes nicht gut leben kann. Sie regt sich allerdings mittlerweile weniger darüber auf, wenn dies andere Leute zu ihr sagen, sondern klärt umfassend auf, was es tatsächlich mit der Krankheit auf sich hat. Wir haben mittlerweile die Krankheit meines Bruders ganz gut akzeptiert, weil sie eben ein Teil von ihm ist und somit zu uns gehört. Der Diabetes ist Teil unseres Lebens geworden, und stellt immer öfter die wichtigste Nebensache in unserem familiären Alltag dar.
,,Hinter jeder Person mit Diabetes steckt eine noch stärkere Familie, die hinter ihr steht, sie unterstützt und die sie mit unendlich vielen Herzen liebt.“ Dieses abschließende Zitat habe ich bei meiner Recherche auf Pinterest auf dem Account von Andreas Siemer gefunden. Und es ist wahr. Diabetes Typ 1 ist eine Familiensache!
Anhang: Instagram-Umfrage Oktober 2019
- Typ 1 Diabetes seit 14 Jahren Diagnose, zum Zeitpunkt der Diagnose 30 Jahre als
- Einsamkeit, Rollstuhl, Dialyse, Beine ab…Kein Scheiß. Die Gedanken hatte ich in den ersten Tagen in der Klinik.
- Meine Mutter war mehr durch den Wind als ich. Ich hatte mich ziemlich schnell wieder im Griff. Jetzt ging es ans Lernen, was ich mit dem neuen Anhang alles machen kann und was nicht…
- Anfangs hatte ich vor allem Schiss, was mit Sport zu tun hatte. Heute gibt es nichts mehr, was ich als gravierend bezeichnen könnte.
- Mein Alltag hat sich durch die Erkrankung nicht verändert. Alles ist normal.
- Gemäß meinem Motto von den Zuckerjunkies: ,,Was zwischen dir und deinem Diabetes steht, ist die BullshitStory, die du dir jeden Tag erzählst. Es gibt nichts was wir Zuckerjunkies nicht machen können.“ ,,Diabetes ist in meinen Augen, die beste chronische Begleitung, die man haben kann. Wüsste nicht was ich lieber hätte, wenn ich es mir aussuchen müsste.“
- Typ 1 Diabetes seit 5 Jahren
- Ich war total geschockt und wusste nicht, ob ich wieder ein schönes Leben wie zuvor führen könnte.
- So 4- 5 Monate
- Unterzuckerungen reißen einen oft aus dem Geschehen raus und stören deshalb am meisten
- Am Anfang hat sich viel um die Krankheit gedreht, mit dem Wiegen und Rechnen, aber mittlerweile ist es wieder wie vor der Diagnose.
- Ja, stimmt! Trotzdem darf man es nicht auf die leichte Schulter nehmen und es ist nicht selbstverständlich, dass jeder gut mit Diabetes leben kann.
- Typ F, Mutter eines Sohnes, der seit 3 Jahren Diabetes hat
- Ich war erleichtert, weil es ihm vorher so schlecht ging und keiner wusste, was mit ihm los war. Er war wütend und traurig.
- Es läuft noch lange nicht so wie ein Alltag in einer normalen Familie…leider…man muss sehr viel beachten.
- Mein Sohn hat eine Schulbegleitung, er kann nicht mehr spontan etwas Essen oder Trinken oder mit anderen Kindern spielen. Alles muss genau geplant werden.
- Es hat sich schon viel verändert. Er war damals zu klein, um zu verstehen, dass es ihm besser geht, wenn er Insulin bekommt. Aber natürlich ist es jetzt immer noch doof, weil er nicht bei anderen Kindern übernachten kann. Mein Sohn freut sich, wenn er endlich selbst lesen kann, damit er alleine wohin gehen und sich selbst Insulin spritzen kann. Er wird damit groß- wir alle werden es.
- Da bekomme ich schon wieder Wut. Manche Kinder bekommen ja noch nicht mal eine Schulbegleitung obwohl dies so im Gesetz steht. Ätzend! Diabetes ist eine so gemeine Krankheit.
- Typ 1 Diabetes seit 2 Jahren
- Ich war geschockt und wusste nicht, wie ich damit klar kommen sollte. Ich wollte es gar nicht akzeptieren.
- Ich hab 2 Wochen gebraucht, um mich ans Spritzen zu gewöhnen und es hat sehr lange gedauert, bis ich den Diabetes akzeptiert habe. Meine Familie und Freunde haben es sehr gut aufgenommen und unterstützen mich.
- Ich persönlich finde, dass das Spritzen meinen Alltag sehr stark beeinflusst hat. Zudem muss ich beim Sport aufpassen, dass ich nicht in den Unterzucker komme.
- Gar nicht so sehr. Klar, am Anfang war die Krankheit eine große Umstellung für alle aber wir haben uns daran gewöhnt.
- Puhh, ich finde, dass Außenstehende dies eigentlich nicht beurteilen können. Klar, Diabetes ist jetzt kein Krebs oder so, aber für einen Diabetiker gibt es in seiner Situation nichts Schlimmeres. Es gibt genug Situationen, in denen man sich fragt, warum ausgerecht man selbst Diabetes haben muss und man die Krankheit einfach nicht mehr haben will.
- Typ F seit 12 Jahren. Unser ältester Sohn (jetzt 15) hat mit 3 Jahren Diabetes bekommen und unser jüngerer Sohn (14) mit 10 Jahren.
- Uns hat es den Boden unter den Füßen weggezogen, als wir die Diagnose gehört haben. Wir hatten überhaupt keine Erfahrung mit Diabetes Typ 1 und unser Sohn war noch so klein.
- Ja, das sehe ich mittlerweile so (auch wenn man sich dies am Anfang überhaupt nicht vorstellen kann). Ich bin froh, dass unsere Jungs ,,nur“ Diabetes haben. Sie fühlen sich wie ganz normale Teenager, müssen auf nichts verzichten und haben überhaupt keine Einschränkungen durch den Diabetes (auch wenn sie natürlich mehr auf ihren Körper achten und an mehr denken müssen, als ich Alterskollegen)
- Typ F seit einem Jahr (Tochter damals 3)
- Ich war wie in einer Blase. Konnte nicht mal weinen, habe einfach funktioniert. Haben auch erst ca. ein halbes Jahr mit Pen gespritzt, da man uns von einer Pumpe abgeraten hatte. Das war wirklich furchtbar, weil eine Dreijährige eben immer Hunger hat und man nie wirklich wusste, wie viel sie am Ende doch schaffen würde.
- Es ging ziemlich schnell… Habe mich viel damit befasst, aber stören tut er uns heute trotzdem noch in bestimmten Lebenslagen. Mit Pumpe ist heute aber natürlich alles leichter.
- Die Spontanität ist manchmal etwas eingeschränkt und das Spielen bei Freundinnen wird natürlich dadurch erschwert.
- Der Alltag hat sich mit der Diagnose sehr verändert und stresst mich als Diamama auch manchmal.
- Das kann man in der Tat. Allerdings sehen diese Menschen die Arbeit nicht dahinter. Was auch okay ist, weil sie es ja gar nicht wissen können. An schlechten Tagen will ich diese Sprüche gar nicht hören und bin davon genervt.
- Typ F – alleinerziehende Mutter 20 Jahre damals (Tochter bei Diagnose 1,5 Jahre alt)
- Als die Diagnose Diabetes kam, war das für mich erst einmal erleichtert, weil Krebs oder so etwas tausendmal schlimmer gewesen wäre. Man versucht damit umzugehen und das Beste aus allem zu machen. Natürlich sitzt der Schock erst einmal tief.
- Bei uns ging es relativ schnell den Dia im Alltag unterzubringen. Dennoch gab es Startschwierigkeiten, da meine Maus noch Milch aus der Flasche getrunken hatte. Es war immer schwer mit der Berechnung. Man wächst in alles hinein und lernt damit zu leben.
- Für uns ist das Schlimmste, dass sie nicht einfach an den Kühlschrank gehen kann wenn sie Hunger hat, alles abgesprochen und gewogen werden muss und wenn sie einfach nur zu einer Freundin möchte, muss man telefonisch immer erreichbar sein. Man kann nicht einfach so wegfahren, sondern muss immer rufbereit sein.
- Ich kenne fast keinen Alltag ohne den Diabetes. Von daher ist es für mich ,,fast normal“. Jedoch leide ich unter chronischem Schlafmangel.
- Typ 1 Diabetes seit 16 Jahren
- Die ersten Tage nach der Diagnose waren die schrecklichsten für mich, weil ich einfach nicht verstand, was mit mir los war. Ich dachte ich würde wieder gesund werden und könnte nach Hause. Ich kannte die Krankheit Diabetes nicht und wusste auch nicht, dass ich ab da chronisch krank sein würde. Das zu realisieren hat sehr lange gedauert. Ich trauerte um mein altes Leben, weil ich wusste, dass es nie wieder so sein würde wie zuvor.
- Es hat sehr lange gedauert. Dies hatte damit zu tun, dass ich meinen Diabetes nicht akzeptieren konnte. Ich wollte nicht krank sein und ignorierte ihn. Meine Familie interessierte sich nicht für meine Krankheit und so war ich mehr oder weniger auf mich allein gestellt. Ich versuchte mein Bestes, aber mit der Unterstützung meiner Familie hätte ich mich eventuell schneller mit dem Diabetes arrangiert. Es dauerte fast 10 Jahre, da wurde ich älter und begriff, dass es keinen Sinn machte gegen meinen Diabetes zu kämpfen. Ich kämpfte ja in Wirklichkeit gegen meinen eigenen Körper. Ich schloss Frieden mit ihm. Er ist ein Teil von mir und wird es immer bleiben. Nur wenn es meinem Diabetes gut geht, dann geht es auch mir gut!
- Auch wenn es mittlerweile das Normalste der Welt ist, vor dem Essen und danach meinen Blutzucker zu kontrollieren, Kohlenhydrate zu berechnen und mich zu spritzen, ist genau das die gravierendste Veränderung für mich. Ich muss einen Heiden Aufwand betreiben um so etwas simples wie Essen zu können. Mit Diabetes muss man Essen erst einmal komplett neu lernen.
- Dadurch, dass sich meine Mutter nicht mit dem Diabetes auskannte, sich aber auch nicht weiterbilden konnte, änderte mein Diabetes nichts an unserem familiären Alltag. Meine Mutter kochte wie immer und ich musste schauen, wie ich die darin enthaltenen Kohlenhydrate berechne. Es gelang mir nur halb so gut. Aktuell lebe ich mit meinem Partner zusammen. Wir haben einen ganz normalen Alltag, er unterstützt mich, der Diabetes läuft mit und speilt keine besondere Rolle in unserem Alltag.
- Das ist eine Frage der Einstellung. Hätte man mir diesen Satz vor ein paar Jahren gesagt, wäre ich explodiert, weil unsere Krankheit gerne verharmlost wird und viele Außenstehende gar nicht wissen, wie viel Arbeit Diabetes in Wirklichkeit ist. Das hängt wahrscheinlich auch noch damit zusammen, weil der Typ 1 gerne mit typ 2 gleichgesetzt wird. Dabei sind es zwei völlig unterschiedliche Krankheiten und Therapien. Wir werden nicht gesund, wenn wir abspecken und unsere Ernährung umstellen. Heute würde ich auf die Aussage ,,Mit Diabetes kann man gut leben“ mit ,,Stimmt genau“ antworten ,,aber es war ein langer und harter Weg dahin!“ Der medizinische Fortschritt macht das Leben mit Diabetes immer einfacher und normaler. Wenn man dann auch noch seine Familie an seiner Seite hat, ist das Leben mit Diabetes richtig schön.
- Typ 1, Diagnose mit 16
- Direkt bei der Diagnose habe ich mich nicht so gut gefühlt und hatte Angst meine Lehre nicht anfangen zu können, da Koch mein Traumberuf ist. In den Tagen danach habe ich mich sehr schnell damit abgefunden und gesehen, dass das Leben genau so weiter läuft wie vorher.
- Mein Diabetes war nach ziemlich genau 4 Wochen integriert, der Vorteil wenn deine Mutter Krankenschwester ist.
- Die gravierendste Umstellung war vor einem Jahr meine Insulinpumpe.
- Die Familie nimmt sehr viel auf sich, finde ich. Meine Eltern machen sich halt noch mehr Sorgen als sonst. Aber ansonsten ist alles wie davor, nur der Dia halt noch als Familienmitglied.
- Natürlich kann man damit gut leben, nur die Kommentare, über das was man essen darf von Menschen , die keinen Plan haben nerven.
- Typ 1 seit Januar 2000 und Typ F seit Januar 2017 (Schwester ebenfalls erkrankt)
- Da ich damals süße 9 Jahre alt war, weiß ich das gar nicht mehr so genau. Es war wahnsinnig aufregend und neu und interessant…aber meine Mama tat mir Leid. Sie hat öfters geweint.
- Ich war 16 Tage in der Klinik, bin dann nach Hause. Anschließend gab es Gespräche mit der Klassenlehrerin und es ging sofort los mit dem neuen Alltag.
- Essen MÜSSEN war und ist die größte Herausforderung mit den Momenten, in denen man durch Pumpenwechsel, Hypo oder ähnlichem aus dem Alltag gerissen wird.
- Für mich als Kind kaum merklich, außer dass regelmäßigere Essenzeiten eingehalten wurden. Denke für meine Eltern hat sich schon mehr verändert.
- Ja, man kann! Natürlich gibt es viele Hindernisse, aber auch viele Krankheiten, mit denen ich nicht tauschen möchte.
- Typ F seit 10 Monaten
- Zunächst ganz viel Traurigkeit und Ungerechtigkeit. Kurze Zeit später, aber so etwas wie ,,Erleichterung“, dass es nicht noch schlimmer ist.
- Das kann ich sehr schwer beurteilen, weil ich ja nicht mit meinem Neffen zusammenlebe. Aber es gibt in der Zeit, in der wir zusammen sind immer diese typischen Fragen. Wann darf er was und wie viel essen/trinken?
- Auch das lässt sich nur schwer beantworten, da wir nicht zusammenwohnen. Aber ich bin froh und stolz auf seine Familie, wie gut sie die Situation meistern.
- Dass einem ein großes Stück Spontanität genommen wird und man selber und die Leute um einen herum immer wachsam sein müssen.
- Ich weiß, dass meine Schwester den Satz hasst, aber ich finde, dass da zum Glück viel Wahres dran ist. Und es war einer meiner ersten Gedanken, die ich hatte, als ich von der Diagnose gehört habe. Als ich meinen Neffen fast täglich in der Kinderklinik besucht habe, war ich immer ein Stück weit froh, dass ich statt in die Kinder- Onkologie auf die Diabetes Station gehen durfte. Natürlich sind die Einschränkungen sehr groß. Aber es wird ja zum Glück immer weiter geforscht und entwickelt, sodass man immer Hoffnung hat, dass es irgendwann besser und einfacher wird damit zu leben. Ich denke nicht, dass irgendjemand den Satz ,,böse“ meint. Das soll wahrscheinlich immer aufmunternd sein und oftmals wissen die Leute auch nicht, was der Unterschied zwischen Typ 1 und Typ 2 ist. Typ 2 entwickelt sich ja gerade zu so etwas wie einer Volkskrankheit.
- Typ 1, Diagnose mit 17 Jahren
- Nicht viel. Habe Kuchen und Torten geliebt. Aufklärung bzw. Schulungen gab es keine. All mein Wissen habe ich durchs Internet, umhören und mir selbst angeeignet.
- Relativ schnell.
- Hmm, gute Frage. Eigentlich nicht viel bzw. nichts. Lebe relativ normal. Wenn ich nicht offen damit umgehen würde, dann würde es glaube ich keiner bemerken.
- Nicht so stark.
- Ja, klar es gibt Tage an denen es mir nicht gut geht. Das ist aber eher selten, wenn der Blutzucker macht was er will.