Vor zwei Wochen war ich in Berlin beim Diabeteskongress der DDG. Ich habe eine ganze Reihe von Themen im Hinterkopf, über die ich euch berichten möchte. Doch als erstes erzähle ich euch einmal von einer Pro- und Contra-Diskussion in einer gemeinsamen Sitzung von DiabetesDE und #dedoc. Darin ging es u. a. um den unseligen Barmer-Hilfsmittelreport von 2022, in dem die Krankenkasse tatsächlich behauptet hatte, der Nutzen der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) sei fraglich.
Ihr erinnert euch vielleicht an meinen Blogbeitrag, den ich unmittelbar nach Veröffentlichung des Hilfsmittelreports verfasst und in dem ich jede Menge Studien zusammengetragen hatte, die den klinischen Nutzen von CGM für Menschen mit Diabetes belegen. Ich war echt sauer, als ich mich ein bisschen näher mit dem Report beschäftigte und verstand, dass darin doch auf recht seltsame Weise Dinge miteinander verglichen werden, die nicht zwingend etwas miteinander zu tun haben. Doch weil die Barmer eine professionelle Presseabteilung hat und Nachrichten aus ihrem Haus wirksam zu streuen weiß, sickerte in der Folge in vielen Medien die Botschaft durch: CGM bringt eigentlich nichts und kostet nur unnötig viel Geld.
Erst vor wenigen Wochen fand ich in einem Newsletter zum Thema Wundmanagement, der sich an Pflegekräfte und andere Leute richtet, die Menschen mit chronischen Wunden versorgen, einen Verweis auf den immerhin schon fast einen Jahr alten Barmer-Hilfsmittelreport. Natürlich mit dem Tenor, dass die kontinuierliche Glukosemessung neumodischer Kram ist, der viel Geld kostet, aber eigentlich keine Vorteile für die Behandlung bietet. Das ist ziemlich ärgerlich, wenn man bedenkt, dass chronische Wunden ganz häufig im Zusammenhang mit einem Diabetes entstehen. Hohe Glukosewerte begünstigen bekanntlich die Entstehung von Nervenschäden (Neuropathie), woraufhin kleine Wunden an den Füßen oft nicht rechtzeitig bemerkt werden. Und weil hohe Glukosewerte außerdem die Wundheilung beeinträchtigen können, werden diese Wunden leicht chronisch und heilen nur schwer ab. In meinen Augen sind Menschen mit diabetesbedingten chronischen Wunden deshalb eine Gruppe, bei denen der Einsatz von CGM besonders wichtig wäre. Doch wie wie sollen sie an CGM-Systeme gelangen, wenn ihre Behandlungsteams auf die verdrehten Weisheiten des besagten Barmer-Reports vertrauen und den Nutzen von CGM anzweifeln? Eben, das könnte schwierig werden.
Höhere Lebenserwartung mit besserer Stoffwechsellage
Genau diesen Newsletter hatte ich noch frisch im Gedächtnis, als ich in den Vortragssaal stiefelte, in dem in Pro- und Contra-Manier über die wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen von CGM diskutiert werden sollte. Prof. Dr. Thomas Danne vom Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover übernahm die Pro-Argumentation. „Ich mache mir Gedanken um Patienten, die als Kinder Typ-1-Diabetes bekommen und viele Lebensjahre verlieren. Was diesen Gap verkleinert, ist eine verbesserte Stoffwechsellage.“ Es gebe längst viele hochwertige Studien, nach denen CGM der konventionellen Blutzuckermessung überlegen ist. „Wenn Medikamente zur Verfügung stehen, die eine HbA1c-Senkung um 0,5 Prozentpunkte ermöglichen, dann gebietet es die Ethik, sie zu verwenden“, sagte Prof. Danne.
Zeit im Zielbereich ist ein besserer Parameter als das HbA1c
Mit CGM-Systemen erreichten Menschen mit Diabetes deutlich mehr Zeit im Zielbereich und verringerten damit ihr Risiko für diabetesassoziierte Folgeerkrankungen. Natürlich hatte Prof. Danne jede Menge Folien mit den zentralen Aussagen der entsprechenden Studien parat. Und weil der Nutzen der CGM aus der Diabetestherapie längst mehr wegzudenken ist, werde in Studienprotokollen mittlerweile der Einsatz von CGM verlangt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Zeit im Zielbereich sich gegenüber dem althergebrachten HbA1c-Wert als der bessere Parameter zur Einschätzung der Stoffwechsellage erwiesen hat. „CGM ist zudem eine Technologie, die in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Gesundheitssystemen und über alle sozialen Schichten hinweg die Outcomes angleicht“, betonte der Kinderdiabetologe. Am Barmer-Hilfsmittelreport ließ Prof. Danne daher kein gutes Haar. Er kritisierte, dass die Krankenkasse auf sogenannte Surrogatparameter wie die Zahl der Arztkontakte oder Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten zurückgreift – weil ihr die aussagekräftigen Labordaten, aus denen man konkrete Schlüsse ziehen könnte, bei der Abrechnung nun einmal nicht übermittelt werden. „Hier stehen die Aussagen hochwertiger Lancet-Studien unvollständigen Daten der Barmer gegenüber. Es gibt eigentlich gar nichts zu diskutieren“, schloss Prof. Danne.
Der Barmer-Vertreter fühlte sich nicht wohl in seiner Haut
Sonderlich wohl fühlte sich Dr. Christian Graf aus Wuppertal, der bei der Barmer als Bereichskoordinator Versorgung arbeitet, ganz offensichtlich nicht in seiner Rolle des Gegenspielers, der die Contra-Position zu vertreten hatte. Er selbst sei an der Ausarbeitung des Hilfsmittelreports nicht beteiligt gewesen, betonte er und ergänzte außerdem: „Ich habe selbst eine Tochter mit Typ-1-Diabetes.“ (Ob seine Tochter ein CGM-System nutzt und dieses möglicherweise ihre Diabetestherapie verbessert, erwähnte er allerdings nicht.) Zudem sei es beim Hilfsmittelreport vorrangig um den Kostenaspekt gegangen. „CGM-Verordnungen sind ein wichtiger Kostenfaktor für die Barmer. Wir verzeichnen steigende Zahlen vor allem bei den Über-60-Jährigen“, erklärte Dr. Graf. Gegenüber Versicherten, die konventionell ihren Blutzucker messen, entstünden jährliche Mehrkosten von etwa 2.000 Euro, „ich will daher über Marktpreise reden, die bei freier Marktentwicklung niedriger wären.“ Weil die Industrie die Preise nicht freiwillig senken werde, brauche es Druck vonseiten des Gesetzgebers – etwa in Form einer Preisangleichung analog zum Arzneimittelsektor, wie er durch Einführung des AMNOG gelungen sei. Beim AMNOG handelt es sich um ein Anfang 2011 eingeführtes Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes, das die rasant steigenden Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen eindämmen sollte.
Bitte nicht die Evidenz verbiegen, um den Zugang zu erschweren!
Das von Dr. Graf vorgebrachte Argument mochte Dr. Danne in dieser Form allerdings nicht gelten lassen. Er fand es zwar legitim, über die Kosten von Hilfsmitteln zu diskutieren, erklärte aber auch: „Sie sollten deswegen aber nicht die Evidenz verbiegen, um den Zugang zu CGM zu erschweren.“ Im Gegenteil: Prof. Danne plädierte dazu, den Zugang zu den Systemen im Sinne der Prävention auch für Menschen mit Typ-2-Diabetes oder auch Prädiabetes zu erleichtern. Und auch der Hamburger Diabetologe und DiabetesDE-Vorstandsvorsitzende Dr. Jens Kröger, der vom Podium aus die Diskussion moderierte, gab zu bedenken: „Wir erleben seit Veröffentlichung des Barmer-Reports eine massive Verunsicherung in den Praxen bei der CGM-Verordnung, mehr Ablehnungen durch den Medizinischen Dienst und große Verunsicherung in der Community. Das war nicht förderlich.“
Klarer Widerspruch von den #dedocvoices
Aus dem Plenum meldeten sich auch einige Menschen mit Diabetes zu Wort, die im Rahmen des #dedocvoices-Programms am Kongress teilnahmen. Nebenbei bemerkt fand ich es großartig, wie häufig diese sich generell in den Sitzungen zu Wort meldeten – ganz getreu dem Motto #nothingaboutuswithoutus (nichts über und ohne uns). „Bei einer solchen gesundheitsökonomischen Evaluation ist es wichtig, die Fragestellung zu beachten. Ich vermisse darin z. B. Zielparameter wie Lebensqualität“, meinte z. B. Saskia Wolf, die vielen in der Community als Looperin Nr. 64 bekannt ist. Und Beate Kerber vom Nachbarblog beateputzt erklärte: „In der Diabetestherapie ist nicht nur die Senkung des HbA1c ein wichtiges Ziel, sondern auch ein besseres Verständnis des Diabetes. Die CGM-Daten helfen bei diesem Verständnis und bietet auch eine bessere Schulungsgrundlage.“


Schwer vorstellbar, dass das nicht genau die Intention der Barmer war…
Dr. Graf wiederholte auf all diese Kommentare fast schon gebetsmühlenartig: „Es geht nicht darum, weniger Menschen Zugang zur CGM zu gewähren, es geht um die Kosten.“ Das ärgerte mich wirklich sehr, weil ich den Report seinerzeit ja wirklich gründlich gelesen und auch seine Effekte in der Medienwelt beobachtet hatte. Ich ging also auch zum Mikrofon und meinte: „Der Report weckt eindeutig den Eindruck, der Nutzen von CGM sei nicht erwiesen. Und genauso ist auch das mediale Echo ausgefallen. Es ist für mich schwer vorstellbar, dass dies nicht genau die Intention der Barmer gewesen ist.“ Der arme Dr. Graf, den ich um seine Rolle bei der Diskussion wahrlich nicht beneidete, musste sich irgendwann geschlagen geben: Der Austausch verlief zwar sachlich und fair, doch zumindest in dieser Sitzung, vor Menschen mit Diabetes und ihren Behandlungsteams, konnte er mit seinen Argumenten nicht überzeugen.
Hier könnt ihr nochmal alle Details des Reports nachlesen
Und wenn ihr nun auch noch einmal nachlesen wollt, ob es in dem Barmer-Report vor allem um die unverhältnismäßig hohen Kosten oder um Zweifel am Nutzen von CGM geht, dann könnt ihr das hier in aller Ausführlichkeit tun. Für Lesefaule reichen aber eigentlich schon ein paar prägnante Zitate, um Herrn Dr. Graf zu widersprechen: „In der Gesetzlichen Krankenversicherung drohen Extrakosten in Milliardenhöhe bei Medizinprodukten ohne erwiesenen Zusatznutzen. Deshalb sollten wichtige Medizinprodukte einer frühen Nutzenbewertung ähnlich wie Arzneimittel unterzogen werden.“ So begann die Pressemitteilung, mit der die Barmer im Juli 2022 auf ihren gerade erschienenen Hilfsmittelreport aufmerksam machte. Der Kosten- und Nutzeneinschätzung der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung ist – neben der Versorgungsqualität Inkontinenzprodukten und Hörgeräten – ein eigenes Kapitel gewidmet. Danach ergeben sich „keine oder nur schwache Hinweise auf einen unmittelbaren Zusatznutzen der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung“ gegenüber der herkömmlichen Blutzuckermessung. Die Barmer wirft daher in ihrem Fazit die Frage auf, „ob die sehr weite Ausweitung des Indikationsrahmens für eine zehnfach teurere Messmethode wirtschaftlich angemessen ist“.

11. Februar 2024 um 14:03
Ohne GCM ( Free Styal Liebre ) wäre ich nicht mehr in der Lage meine Ausbildung weiter zu machen und meine Hypo Wahrnemung hätte ich verloren. Dank FCM durfte ich mich an Akivitäten beteiligen (zB. Schwimmen und Ausflüge in Zoos)
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18. Juni 2023 um 0:11
Es ist traurig das darüber überhaupt diskutiert werden muss. Durch CGM habe ich eine viel bessere Einstellung und meine Pumpe läuft mit AID-System. Geht gar nicht ohne ständige BZ-Überwachung. Und auch Typ I Diabetiker werden mal alt. Durch CGM werdenmeiner Meinung nach eher Spätfolgen (Niere etc.) Verhindert, die dann erst recht hohe Kosten verursachen werden (Dialyse, Transplantation und.s.w.)
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