Für viele von uns Typ-Einsern ist der Spruch „Meine Oma hat auch Diabetes…“ der Inbegriff des Unverstandenseins. Denn meist hat die besagte Oma einen Typ-2-Diabetes, der sich mit unserem Typ-1 nun einmal nur bedingt vergleichen lässt. Doch was ist, wenn das gar nicht stimmt und die Oma vielleicht ebenfalls Typ-1-Diabetes hat?
Ich frage das aus gutem Grund. Denn immerhin bin ich selbst seit gut einem Jahr Oma, und habe natürlich weiterhin Typ-1-Diabetes. Am vergangenen Freitag waren wir zur ersten Geburtstagsparty meiner Enkelin eingeladen, verputzten Kuchen, schwenkten Wunderkerzen, sangen im Kanon und übten mit der Kleinen, wie man mit der Kugelbahn spielt – natürlich ein pädagogisch wertvolles Oma-Geschenk.
Bald fängt meine Enkelin an, noch mehr zu plappern
Es versteht sich von selbst, dass meine Enkelin außergewöhnlich süß und aufgeweckt ist. Und so saugt sie jegliche Sinneseindrücke auf wie ein Schwamm, lernt und arbeitet rund um die Uhr. Sie übt sich auch darin, mit ihren Lippen erste Wörter zu formen. „Mama“ und „Baba“ gehören natürlich zu ihrem Vokabular, aber auch „Aff-Aff“ für Hund und ein lustiges fauchendes Geräusch als Universalantwort auf die Frage: „Wie macht die Kuh/Katze/Giraffe/Robbe/Maus?“ Demnächst wird sie noch mehr plappern, irgendwann auch ganze Sätze mit Sinn, mit denen sie von ihrem Leben erzählt.
Ich bin eine Oma mit Typ-1-Diabetes
Wer weiß, vielleicht wird sie irgendwann auch einmal auf ein Kind treffen, das Typ-1-Diabetes hat. Wird neugierig schauen, was da für eine Insulinpumpe am Schlauch hängt und vielleicht überlegen, warum dieses Kind häufiger naschen darf als sie und manchmal mit zittrigen Knien in der Ecke steht. Und wenn ihr dann jemand erklärt, dass dieses Kind Diabetes hat, dann antwortet sie möglicherweise: „Meine Oma hat auch Diabetes!“ Sie liegt damit dann sogar goldrichtig. Denn nur weil ich inzwischen eine Oma bin, hat sich mein Diabetes ja nicht auf einmal von einem Typ-1 in einen Typ-2 verwandelt.
Die Klischee-Oma hat graue Haaren, Kittelschürze, Übergewicht und Typ-2-Diabetes
Ich weiß natürlich, was es ist, das so viele Menschen mit Typ-1-Diabetes auf die Palme bringt, wenn ein Spruch wie „Meine Oma hat auch Diabetes…“ fällt. Denn allzu häufig ist damit eben eine Klischee-Oma mit grauen Haaren, Kittelschürze, Übergewicht und Typ-2-Diabetes gemeint. Eine Oma, die möglicherweise damit auskommt, jeden Tag eine Tablette zu nehmen. Die sich nicht um stündlich schwankende Glukosewerte kümmern oder jedes Essen genau berechnen muss. Dann bedeutet ein solcher Spruch gefühlt ungefähr das: „Stell dich nicht so an, meine Oma hat das auch und beklagt sich nicht.“ Oder: „Was ist denn schon dabei? Diabetes ist doch eine Allerweltskrankheit!“ Oder: „Meine Oma hat Diabetes, weil sie zu viel isst und sich zu wenig bewegt. Du also auch.“
Vielleicht habt ihr ja meine kleine Enkelin getroffen, und die weiß genau Bescheid
Und trotzdem ist es heutzutage durchaus denkbar, dass die besagte Oma ebenso wie wir Typ-1-Diabetes hat. Immerhin haben Menschen mit Typ-1-Diabetes dank verbesserter Therapie mittlerweile eine hohe Lebenserwartung. Ich habe ja gerade neulich erst darüber geschrieben, dass genau aus diesem Grund nun endlich auch die wissenschaftlichen Leitlinien zur Behandlung des Diabetes ergänzt werden. Wenn ihr also das nächste Mal von jemandem hört „Meine Oma hat auch Diabetes…“, dann denkt an mich und meinen Typ-1-Diabetes. Dann muss hinter dem ungeliebten Satz nicht unbedingt die Geringschätzung stecken, die wir so oft hineininterpretieren. Vielleicht habt ihr einfach ja meine kleine Enkelin getroffen, die ganz genau Bescheid weiß. ❤
5. August 2018 um 11:11
Ich denke, dass der Frust darüber eher damit zu tun hat, dass diese Krankheit in unserer Gesellschaft unterschätzt wird. Auch eine Oma mit Typ-2-Diabetes kann stündlich schwankende Zuckerwerte haben und ich habe es auf Station schon oft erlebt, dass eine ältere, schlanke Dame mit guter, modischer Kleidung am Morgen mit 28,3 eingeliefert (wegen Bluthochdruck) und abends mit 2,4 gemessen wurde.
Ich denke statt sich darüber zu beklagen, dass diese Krankheitsbilder so unterschiedlich sind und jeder Laie das auch gefälligst wissen muss, wäre es wichtiger den Menschen zu vermitteln, was Diabetes ist. Das ist keine Krankheit, egal welcher Typ, bei dem man sich nach jeder Mahlzeit nach Belieben spritzt, als wäre es eine Weight Watchers Diät, bei der man Punkte zählen muss. Es ist eine unter Umständen zum Tod führende, lebenseinschneidende Erkrankung, die eigentlich erfordert, dass man viele seiner Gewohnheiten und Vorlieben einschränkt, dass man viel mehr Acht auf sich geben muss und Reisen etc. nicht mehr unbedacht spontan unternehmen kann. Eine Erkrankung, die Menschen, so wie ich es täglich im Krankenhaus sehe, schwer verstümmelt und an den Rand des Ertragbaren führt.
Ihr müsst viel ausstehen.
Aber für den Moment ist zu sagen, dass diese Krankheit allgemein von der Bevölkerung auf die leichte Schulter genommen wird. Auch von den Erkrankten selbst. Und erst einmal muss hier das Umdenken einsetzen. Als Krankenschwester kann ich nur sagen: Typ 1 und Typ 2 mögen sehr unterschiedlich sein, aber man kann nicht sagen, wer mehr darunter leidet. Leid vergleichen ist in meinen Augen ein Unding.
Viel Erfolg in Zukunft!
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