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Echte Geschichten aus meinem bewegten Leben mit Typ-1-Diabetes

Interoperabilität lässt weiter auf sich warten

4 Kommentare

Wann gibt die Diabetesindustrie endlich ihr Silo-Denken auf und lässt die verschiedenen Geräte und Systeme endlich nahtlos zusammenarbeiten? In anderen Lebensbereichen wundert sich doch auch längst niemand mehr darüber, dass sich Smartphones, Kopfhörer oder Tastaturen via Bluetooth mit unterschiedlichen Computern beliebigen Fabrikats verbinden lassen.

Liebe Leute, sorry für die lange Funktstille auf diesem Kanal! Ich weiß auch nicht, wieso die Zeit seit dem letzten Blogbeitrag so schnell verstrichen ist. Dabei habe ich doch eigentlich so viel zu erzählen! Zum Beispiel von den vielen interessanten Vorträgen, die ich im Auftrag der Diabetes Zeitung bei Kongressen wie dem der ATTD im März und dem der DDG im Mai 2024 gehört habe. Los geht’s also mit meinen Eindrücken von einer Sitzung zum Thema Interoperabilität beim ATTD-Kongress. Dass die verschiedenen Diabetes-Gerätschaften nicht dieselbe Sprache sprechen und deshalb nicht beliebig miteinander kombiniert werden können, ärgert mich ja schon seit geraumer Zeit, wie man z. B. hier oder hier nachlesen kann.

Denn es ist ja so: Wer heutzutage in der Diabetestherapie Hilfsmittel wie Glukosesensoren (CGM), Insulinpumpen oder Systeme zur automatisierten Insulindosierung (AID) nutzt, kommt an die von den Devices generierten Daten nur über die Software des jeweiligen Herstellers heran. Und diese haben in der Regel keine offenen Schnittstellen, über die andere Anwendungen auf die Daten zugreifen können. Der Brite Tim Street, der seit über 30 Jahren mit Typ-1-Diabetes lebt und sich als Anwender in der Diabetestechnik- und Looper-Szene tummelt, kritisierte beim ATTD-Kongress daher: „Dabei sind es unsere Daten, wir sollten also selbst entscheiden können, was mit ihnen geschieht und mit welchen Systemen wir sie teilen möchten. Was wir wollen, ist eine All-in-One-Lösung, ein offenes Datenmodell, das sich in jegliche andere Systeme integrieren lässt.“ Hallelujah!

„Hersteller verstecken sich hinter MDR und DSGVO!“

Er fand es zwar erfreulich zu sehen, dass es immer mehr verschiedene Systeme für die Insulinabgabe (Smartpens, Insulinpumpen und AID-Algorithmen) gibt. Doch es fehle an Möglichkeiten, die einzelnen Elemente individuell zu kombinieren. Aktuell müssten sich Anwender*innen nicht nur fragen, welche Insulinpumpe mit welchem Katheter- oder Schlauchsystem am besten zu ihnen passt, sondern auch mit welchem CGM-System und welchem AID-Algorithmus das favorisierte Pumpensystem kompatibel ist. Den Herstellern von Diabetestechnologie warf Street vor, sich hinter Regularien wie der Medical Device Directive (MDR) oder der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu verstecken. „Ein solches Silo-Denken ist darauf ausgelegt, Risiken zu verwalten anstatt Menschen mit Diabetes zu nutzen“, kritisierte der Aktivist und forderte von der Industrie: „Die technischen Standards existieren längst, machen Sie Gebrauch von ihnen.“

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Auch aus ärztlicher Sicht ein echtes Manko

Beim Thema Interoperabilität geht es aber nicht allein um die individuellen Vorlieben von Menschen mit Diabetes, die manche Leute ja vielleicht als ‚Jammern auf hohem Niveau‘ abtun würden. Vielmehr ist die aktuelle Datenabschottung auch aus ärztlicher Sicht ein echtes Manko, wie Professor David Klonoff vom Diabetesforschungsinstitut Mills-Peninsula Medical Center in Kalifornien erläuterte, denn „Interoperabilität ist in jeder Hinsicht vorteilhaft und sollte in der Diabetologie ebenso selbstverständlich sein wie in allen anderen Technologiebereichen“. Bislang sei es aber weder möglich, CGM-Daten automatisch in die elektronische Patientenakte hochzuladen, noch sie in Labor-Infosysteme zu integrieren oder sie über das Krankenhausnetzwerk Behandlungsteams der Intensivstation zugänglich zu machen.

Kommen nun endlich die Regulierungsbehörden in Bewegung?

Bislang habe die amerikanische Zulassungsbehörde FDA keine verbindlichen Standards für Interoperabilität bei Medizinprodukten definiert. Doch dies könnte sich in Zukunft ändern. Denn mit der Office of the National Coordinator for Health Information Technology (ONC), eine dem US-Gesundheitsministerium untergeordnete Behörde, dränge die amerikanische Regierung derzeit auf eine bessere Interoperabilität und Transparenz von Algorithmen. Und auch der Rat der Europäischen Union habe erst kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das sich auch auf die Interoperabilität von Gesundheitsinformationen auswirken werde. „Wenn Unternehmen Anwendern keinen Zugang zu ihren eigenen Daten gewährt, werden die Regulierungsbehörden sie bald dazu zwingen“, prophezeite Prof. Klonoff. Na dann hoffen wir mal das Beste! Denn unser hiesiges BfArM verhält sich bei der Überwachung von Diabetestechnologie bislang ja eher passiv verhält bzw. braucht bei Beschwerden oder Fehlermeldungen einfach ungeheuer lange, bis sein bürokratischer Apparat einmal in Gang kommt…

4 Kommentare zu “Interoperabilität lässt weiter auf sich warten

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  3. Avatar von Wolfgang HULLMANN

    Ja, Frau Thiel, der Ärger ist berechtigt. Man muss es aber wahrsch. so sehen: Die verschiedenen angesprochenen Erzeugnisse sind solche von Einzelfirmen. Standards werden nur dann allgemeingültig gemacht, wenn alle Firmen ein Interesse daran haben. Bisher können sie, wenn sie Kunden an sich binden, wie hier erwähnt eine ganze Produktpalette verkaufen, also sämtliches (teures!) Zubehör. Es müsste ein Zustand kommen, in dem sich das (wg. der Produktionskosten) nicht mehr lohnt. So hat die Autoindustrie nur wenige Bremsenhersteller. Das ist billiger für alle, also als wenn jeder seine eigenen Bremsen herstellt. Außerdem ändert das Bremsfabrikat nicht die Attraktivität eines Autos. Trotz der Sicherheitsrelevanz sind sie verkaufstechnisch sekundär; das Alleinstellungsmerkmal des Fahrzeugs ändert sich mit dem Bremsenhersteller nicht. Es muss also an der Vereinheitlichung ein Interesse entstehen u. das muss finanzieller Natur sein. So läuft es auch anderorts: Ich arbeite oft im Terminologiebereich, für den es verschiedene Programme gibt. Diese sind zum Ärger vieler nicht kompatibel: Man kann also in mehreren Sprachen erfasste Begriffe nicht einfach in ein anderes Programm eines Wettbewerbers überführen. Das liegt an der inneren Struktur. Einfach gesagt: Sieht ein Programm fünf Felder für mögliche Eintragungen und ein anderes sieben vor, weiß das Zielprogramm nicht, wohin mit den Daten u. die Überführung scheitert od. ist fehlerhaft. Ähnlich wird es bei den Diabetesprogrammen aussehen. Erst wenn die Hersteller dieselbe „Datensprache“, dieselben Eintragungsfelder an derselben Stelle vorsehen, kann’s klappen. Dafür muss eben besagtes Interesse bestehen, denn sie geben damit bestimmte Alleinstellungsmerkmale auf. Man darf übrigens nicht vergessen, dass auch die Algorithmen angeglichen werden müssten: Wie berechne ich den Hba1c, wie den Durchschnittszucker, auf welcher Grundlage (welche Tages-, Wochenabstände usw.) erstelle ich die Datenfelder, wie soll die Verlaufskurve aussehen und aufgrund welcher Daten (Erfassung jede Minute, alle fünf Minuten …)? Und wohl vieles mehr. Wenn bei den Herstellern die Notwendigkeit für eine Einigung nicht besteht bzw. sogar als geschäftsschädigend erachtet wird, kann nur ein „Behördenbefehl“, z.B. auf EU-Ebene, helfen, etwa wie bei den Roamingtarifen in den Handynetzen vor ein paar Jahren. Vorausgesetzt, die EU sieht den Handlungsbedarf überhaupt selber u. erkennt darin ein Interesse (meist, um Wähler zu gewinnen – auch dort ist man nicht etwa nur altruistisch).

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    • Avatar von Antje Thiel

      Danke für die Einblicke! Ja, es ist sicher nicht ganz trivial, alle Systeme interoperabel zu gestalten. Aber wenn es politischer Wille wäre, dann ginge es sicherlich ganz fix. Apple muss jetzt ja auch Ladekanel mit kompatiblen Steckern liefern. Freiwillig hätten sie das aber wohl kaum gemacht… 😅

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