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Freestyle Libre: Erste Krankenkassen wollen die Kosten übernehmen

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Den Anfang machte die DAK mit ihrer Ankündigung, in Kürze für Versicherte aus ihren Disease-Management-Programmen (DMP) die Kosten für das Glukose-Messsystem Freestyle Libre zu übernehmen. Kurz darauf kündigte auch die Techniker Krankenkasse (TK) an, zumindest anteilig die Kosten zu erstatten.

Seit der Pharmariese Abbott Mitte Oktober 2014 sein neues Glukose-Messsystem „Freestyle Libre“ auf den Markt gebracht hat, ist in der Diabetes-Community eine regelrechte Massenhysterie ausgebrochen, über die ich ja bereits gegen Ende 2014 einmal berichtet habe. Die Option, lückenlose Glukoseprofile zu erstellen, ohne sich für jeden einzelnen Messwert in den Finger pieksen zu müssen, hat offenbar einen Bedarf getroffen. Allerdings hätte offenbar niemand vorhersagen können, WIE groß dieser Bedarf tatsächlich ist. Denn obwohl das Freestyle Libre bislang keine Kassenleistung ist und den Anwender nach der Erstinvestition in das Lesegerät monatlich gut 120 Euro für die Sensoren kostet, kommt Abbott mit der Produktion nicht hinterher und beliefert derzeit nur Bestandskunden. Die Zustände erinnern an Autobestellungen in der DDR: Neue Interessenten haben bis auf Weiteres das Nachsehen, sie können sich nur auf eine Warteliste setzen lassen.

Glukoseverlauf in der Nacht war bislang eine Blackbox

Nun hat die DAK als erste gesetzliche Krankenversicherung auf den Trend reagiert und bietet ab Juni 2015 ausgewählten DMP-Patienten das Freestyle Libre als freiwillige Leistung an. Bei einer Pressekonferenz am 10. Februar 2015 in Berlin stellte die DAK zusammen mit der Firma Abbott das neue Programm der Öffentlichkeit vor. Was der Diabetologe Prof. Morten Schütt von der Universitätsklinik Lübeck als die besonderen Vorzüge des Systems nannte, ist in der Diabetes-Community ja inzwischen hinlänglich bekannt (die Massenhysterie kommt ja nicht von ungefähr…): „Das Libre zeichnet zum Beispiel den Glukoseverlauf in der Nacht auf – das war für uns bislang immer eine Blackbox.“ Bislang habe er Patienten im Gespräch immer nur auf einzelne Blutzuckerwerte ansprechen können. „Aber das sind nur Mosaiksteinchen. Mit dem Freestyle Libre bekomme ich viel mehr Informationen, die ich gemeinsam mit dem Patienten interpretieren und für die Therapieplanung nutzen kann.“ Die Trendpfeile ermöglichten erstmals einen Blick in die Zukunft. „So hilft das Freestyle Libre Patienten zu lernen, wie sich kritische Situationen in Zukunft vermeiden lassen.“

Zielgruppe sind speziell insulinpflichtige Diabetiker mit schweren Verläufen

Nach Einschätzung von Schütt profitieren insbesondere insulinpflichtige Diabetiker mit häufigen Hypoglykämien, mit stark schwankenden Werten oder mit Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörungen von dem neuen System. Aber auch Autofahrer oder Menschen, die von Berufs wegen häufig und unkompliziert ihre Glukosewerte im Blick haben müssen. Als Beispiele nannte er Gabelstaplerfahrer oder Chirurgen: „Einer meiner Patienten ist Chirurg und Typ-1-Diabetiker. Er kann nun einfach weiter operieren, während eine OP-Schwester zwischendurch seinen Glukosewert scannt.“ Ich persönlich bin zwar weder Gabelstaplerfahrer, noch Chirurg, doch mir gefällt es zum Beispiel sehr, dass ich beim Sport immer wieder einmal zwischendurch meinen Glukosewert checken kann – beim Laufen muss ich dafür nicht einmal anhalten oder auch nur mein Lauftempo verringern.

Auch die DAK hofft auf bessere Lieferkapazitäten bei Abbott

Im Rahmen des neuen DAK-Versorgungsprogramms sollen nun bevorzugt Diabetiker angesprochen werden, aus deren DMP-Daten sich schließen lässt, dass sie in besonderer Weise vom Freestyle Libre profitieren könnten, zum Beispiel Diabetiker mit schlechten HbA1C-Werten oder häufigen Krankenhauseinweisungen wegen Hypoglykämien. DAK-Vorstandsmitglied Thomas Bodmer erklärte, man werde zunächst rund 1.000 ausgewählten Versicherten aus den DMP Typ-1- und Typ-2-Diabetes die Teilnahme an dem Programm anbieten. Je nach Entwicklung der Lieferkapazitäten von Abbott solle der Teilnehmerkreis dann beständig ausgeweitet werden. Bis Ende des laufenden Jahres will man zudem wissenschaftlich evaluieren, inwieweit sich die Nutzung des neuen Messsystems auf Parameter wie Hypoglykämien und HbA1C-Wert auswirkt.

Mein Tipp an die DAK: Ausführliche FAQ-Listen für die Callcenter

In der Diabetes-Community stieß die Ankündigung der DAK schon vorab auf enormes Interesse, denn bislang war es nur wenigen GKV-Versicherten gelungen, ihre Krankenkasse von einer Erstattung der Kosten für das Freestyle Libre zu überzeugen. Ich bin mir nicht sicher, ob die DAK sich im Vorweg darüber im Klaren darüber war, was in den nächsten Tagen in ihren Callcentern los sein wird. Sie sollte in jedem Fall eine FAQ-Liste für die Mitarbeiter ihrer Callcenter erstellen, die sicherlich unzählige Anfragen durch Diabetespatienten beantworten müssen, die gern infolge des neuen Angebots in die DAK wechseln möchten. Ganz wichtige Info für alle jene, die einen solchen Wechsel in Erwägung ziehen: Man kann sich nicht um eine Teilnahme an diesem neuen Versorgungsmodell bewerben, sondern wird von der DAK angeschrieben.

Auch die TK will ihren Versicherten das Freestyle Libre (anteilig) finanzieren

Es war vermutlich kein Zufall, dass just einen Tag vor der DAK-Pressekonferenz zum Start ihres Programms auch die TK bekanntgab, auch sie werde ihren Versicherten im Rahmen eines neuen TK-Gesundheits-Coachings die Kosten für das neue Messsystem zumindest anteilig erstatten. Zum TK-Gesundheits-Coaching gehören auch ein elektronisches Blutzuckertagebuch (online oder als Smartphone-App), Online-Kurse und ein Online-Coaching bei Problemfragen. Die TK will Anwendern des Freestyle Libre die Kosten für das Messsystem bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für Blutzuckerteststreifen erstatten, „und zwar unabhängig davon, ob man tatsächlich das gesamte Paket des TK-Gesundheits-Coachings nutzt“, wie der TK-Sprecher Hermann Bärenfänger auf meine Nachfrage hin betonte. Man könne also von einer Kostenerstattung in Höhe von 55 bis 60 Prozent der Gesamtkosten ausgehen.

Bei belegtem Zusatznutzen geht das Freestyle Libre in die Regelversorgung über

Bei den Kassen und auch bei Abbott ist man sich sicher, dass das Freestyle Libre über kurz oder lang in die GKV-Regelversorgung übergehen wird. „Derzeit laufen große randomisierte Studien, anhand derer wir den Zusatznutzen des Systems belegen wollen“, erklärte hierzu Dr. Ansgar Resch, General Manager bei Abbott Diabetes Care. Diese Studien nennen sich REPLACE (Typ-2-Diabetiker) und IMPACT (Typ-1-Diabetiker). Sollte sie nachweisen, dass das Freestyle Libre dazu beitragen kann, bei insulinpflichtigen Diabetikern die Häufigkeit von Hypoglykämien zu verringern oder Stoffwechselverläufe zu stabilisieren, könnte sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einer Aufnahme in die Regelversorgung wohl kaum verschließen. Dass die derzeitige Studienlage zum Freestyle Libre noch nicht sehr überzeugend ist, hatte ich ja in meinem ausführlichen Anwendungsbericht im Dezember geschrieben.

Welche Daten überträgt die Software an die Zentralserver von Abbott?

Offene Fragen gibt es auch noch in puncto Datenschutz. Denn die Daten aus dem Scangerät lassen sich über ein USB-Kabel an den Rechner übertragen und mit der dazugehörigen Software aus dem Hause Abbott umfangreich auswerten. Ich selbst habe die Software bis dato noch nicht installiert, weil es auf meinem Rechner Probleme beim Entpacken der zip-Datei gab. Inzwischen bin ich sogar ein bisschen froh, dass die Installation bislang nicht geglückt ist, denn wie man im Blog des belgischen Arztes und IT-Experten Pierre Vendevenne nachlesen kann, werden hierbei offenbar Daten an einen zentralen Server der Abbott-Zentrale in den USA übertragen. Ich bin kein IT-Experte, die von Vendevenne aufgeführten Skripte sind für mich ebenso wenig aufschlussreich wie chinesische Liebeslyrik in Originalfassung. Deshalb fragte ich bei der Pressekonferenz nach und bekam von Dr. Ansgar Resch die Antwort: „Natürlich wollen wir gern wissen, wie unsere Geräte genutzt werden, doch diese Daten werden nur anonymisiert und nicht personenbezogen gespeichert, alle Datenschutzrichtlinien werden eingehalten.“ Selbstverständlich verlasse ich mich bei solch heiklen Themen nicht auf eine einzige Quelle (zumal wenn sie der Hersteller ist), habe also bereits vor einigen Wochen beim zuständigen Datenschutzbeauftragten des Landes Hessen nachgefragt, wie er die Sache einordnet. Seine Einschätzung steht zwar noch aus, doch ich bekam als Zwischenmeldung die Information, dass ich nicht die erste war, die zu diesem Thema angefragt hat. Ich bleibe am Ball und werde zu gegebener Zeit weiter berichten.

Schulungen in den Diabetespraxen wären eine sinnvolle Ergänzung

Ein weiterer Knackpunkt ist die bislang unzureichende Einbindung der Ärzteschaft. Derzeit wird das neue Messsystem ausschließlich im Direktvertrieb von Abbott angeboten, so dass ein Diabetologe es gar nicht zwingend erfährt, wenn sein Patient auf einmal statt eines Blutzuckermessgeräts das Freestyle Libre nutzt. Die meisten Diabetiker werden ihrem Diabetologen vermutlich spätestens beim Quartalstermin von ihrem coolen Gadget berichten und ihn an ihn an ihren neuen Erkenntnissen teilhaben lassen – doch der eine oder andere experimentiert vielleicht doch auf eigene Faust und zieht möglicherweise falsche Schlüsse aus den Trendpfeilen und Tagesprofilen. Schulungen in den Diabetespraxen wären deshalb sicherlich hilfreich, damit Diabetiker lernen, mit dem neuen Instrument sinnvoll umzugehen. Allerdings sind in den Programmen der DAK und der TK Schulungen durch Ärzte oder Diabetesberaterinnen bislang nicht vorgesehen – entsprechend erhält eine Praxis für eine solche Beratung auch keine Vergütung, was die Begeisterung über das neue Messsystem vermutlich ein wenig bremsen dürfte.

Zugang zu Innovationen, die den Umgang mit einer Erkrankung erleichtern

Doch ich will den Vorstoß der beiden Kassen auf gar keinen Fall madig machen. Wann passiert es schon einmal, dass eine Innovation gerade einmal drei Monate nach ihrer Markteinführung und ohne harte wissenschaftliche Belege für den medizinischen Zusatznutzen doch relativ unbürokratisch von den gesetzlichen Kassen (teil-)finanziert wird? Mir zeigt das rasche Handeln von DAK und TK, dass es auch ohne das positive Votum des G-BA manchmal ganz schnell und unbürokratisch vonstatten gehen kann, wenn Versicherte Zugang zu Innovationen fordern, die ihnen den Umgang mit ihrer Erkrankung erleichtern.

IMG_8634_Podium PK

Auf dem Podium bei der Pressekonferenz: der Diabetologe Prof. Morten Schütt, der Abbott-Manager Dr. Andreas Resch, DAK-Vorstandsmitglied Thomas Bodmer und DAK-Pressesprecher Jörg Bodanowitz

IMG_8639 Demo Applikation

Abbott-Mitarbeiter Marco Farwig, selbst Typ-1-Diabetiker, demonstrierte bei der Pressekonferenz, wie man einen Sensor des Freestyle Libre setzt

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