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Von wegen zuckerkrank – ein Blog über glückliches Leben, leckere Ernährung und Sport mit Typ-1-Diabetes

Insulinpumpen sind modern, Insulinpens sind vorsintflutliche Technologie. Was ist falsch an diesem Satz?

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Wenn man sich wie ich viel in der Diabetes-Online-Community und Blog-Szene tummelt, dann gewinnt man schnell den Eindruck, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes heute technisch ziemlich hochgerüstete Cyborgs sind. Auf Blogs, in Foren und in den sozialen Medien scheint sich beinahe alles um ein Thema zu drehen: Diabetestechnik. Da komme ich, die ich mit meiner bewährten intensivierten Insulintherapie (ICT) mit zwei mechanischen Insulinpens glücklich und zufrieden bin, manchmal fast ein wenig aus der Zeit gefallen vor.

Zumindest unter den Bloggerinnen und Bloggern ist der Anteil derer enorm hoch, die Insulinpumpen, CGM-Systeme oder sogar selbstgebaute Closed Loop-Systeme nutzen und ihre Glukosekurven auf der Smartwatch stets im Blick haben. Wenn ich mir die Blogs in meiner Blogroll einmal ansehe, dann finde ich darunter nur ganz vereinzelt Typ-Einser, die sich ihr Insulin – ebenso wie ich – mit dem Insulinpen zuführen. Daran gibt es natürlich erst einmal gar nichts auszusetzen. Doch es lässt sich wohl kaum leugnen, dass die Lebenswirklichkeit der Leute in der Blogger-Szene in vielen Punkten von der gelebten Realität der allermeisten Menschen mit Typ-1-Diabetes abweicht.

Von 300.000 Typ-Einsern nutzen etwa 40.000 eine Insulinpumpe

Denn Fakt ist, dass die allermeisten Typ-Einser ihren Diabetes nach wie vor nicht mit einer Insulinpumpe, sondern mit Insulinpens behandeln. Aus einer (leider undatierten und vermutlich nicht brandaktuellen!) Auflistung von DiabetesDE geht hervor, dass von den rund 300.000 Typ-Einsern in Deutschland nur etwa 40.000 in der Insulinpumpentherapie unterwiesen wurden. Ein großer Teil dieser Insulinpumpen dürfte dabei auf Kinder und Jugendliche entfallen. Denn nach ziemlich aktuellen Zahlen der Deutschen Diabetes Gesellschaft  trägt etwa die Hälfte aller insgesamt 32.500 Kinder mit Typ-1-Diabetes eine Insulinpumpe. Auch zum Anteil der CGM-Nutzer unter uns Typ-Einsern habe ich eine Zahl gefunden: Nur etwa 20.000 von ihnen nutzen dauerhaft ein CGM-System, wie man in einem Beitrag von Lutz Heinemann im aktuellen Gesundheitsbericht Diabetes (Seite 176) nachlesen kann.

Manche Typ-Einser fühlen sich mit Blutzuckermessgerät und ICT rückständig

Leider findet man in keiner der oben zitierten Berichte die Quelle für die genannten Zahlen. Doch ich will auch gar nicht um die genauen Zahlen feilschen. Mir geht es in erster Linie darum, dass es eine gewisse Diskrepanz zwischen den Dingen gibt, mit denen eine klare Mehrheit der Typ-Einser sich im Alltag beschäftigen und dem, was auf den vielen Diabetes-Blogs so geschrieben wird. „Na und?“, denkt sich vielleicht jetzt manch einer, „es steht doch nirgendwo geschrieben, dass Blogger die Mehrheit der Typ-Einser repräsentieren müssen!“ Das stimmt natürlich. Doch könnte es nicht auch sein, dass sich manche Leute aufgrund der vielen Schilderungen von Diabetestechnik und dem neuesten heißen Scheiß in Sachen Sensoren, Pumpen und Algorithmen ihre eigene – weniger techniklastige – Therapie als irgendwie rückständig empfinden?

Ist so ein Insulinpen nicht total altmodisch und rückständig?

Ich für meinen Teil kann mich davon zumindest nicht ganz freisprechen. Wer regelmäßig hier auf diesem Blog liest, erinnert sich vielleicht daran, dass ich vor gut einem Jahr einmals ins Überlegen geraten bin, ob ich mir nicht doch so langsam mal eine Insulinpumpe zulegen sollte. Weil doch irgendwie jeder eine hat. Weil so ein Insulinpen doch irgendwie altmodisch, wenn nicht sogar rückständig ist. Weil ich gern mitreden können möchte. Weil ich mit einer Pumpe meine Zuckerwerte vermutlich noch ein bisschen besser managen könnte. Und sollte ich  nicht alles dransetzen, mein Diabetesmanagement so weit wie möglich zu perfektionieren?

Spannende Diskussion bei einem Blogger-Event neulich beim ATTD

Mit solchen Gedankengängen bin ich nicht ganz allein, wie ich neulich bei bei einem Blogger-Event der Firma Ascensia* im Rahmen des ATTD-Kongresses in Berlin feststellen durfte. Dabei hatte sich eine Runde aus zwölf internationalen Diabetes-Bloggerinnen und -Bloggern sowie zwei Menschen aus dem Ascensia-Team zusammengefunden, um u. a. über die geeignete Sprache im Umgang mit Diabetes-Komplikationen zu diskutieren. Hierzu schwirren mir seither eine ganze Menge Gedanken im Kopf herum, die ich in Kürze in einem weiteren Blogbeitrag zusammenfassen möchte. Doch als ein weiteres Thema kristallisierte sich dann eben auch genau das oben beschriebene Phänomen heraus: Was löst es in den Köpfen von „durchschnittlichen“ Typ-Einsern aus, wenn in Blogs so viel von Diabetestechnik die Rede ist, die bei weitem nicht jedem zur Verfügung steht? Und welche Sprache nutzen wir, wenn wir über Diabetestechnik sprechen?

„Ich nutze nur Insulinpens, nein immer noch keine Pumpe“

Wir alle sind sicherlich schon einmal einer Formulierung wie dieser begegnet: „Ich hatte keinen Katheter mehr für meine Insulinpumpe, deshalb musste ich für eine Weile zurück zur ICT.“ Das klingt ganz klar nach einem Downgrade, oder? Als sei eine ICT eine vorsintflutliche und eigentlich längst nicht mehr zumutbare Behandlungsmethode. Ich selbst kann nicht ausschließen, dass ich auf die Frage, wie ich meinen Diabetes behandele, auch mal geantwortet habe „Ich nutze nur Insulinpens, nein immer noch keine Pumpe“. Als sei eine Pumpe generell die bessere Therapievariante und ein Insulinpen ein Gerät aus der Steinzeit. Als müsse ich mich dafür rechtfertigen, dass ich mich dem technischen Fortschritt verweigere und stattdessen als Dinosaurier durch die Pampa streife. Und genau als ich heute Morgen den Entschluss gefasst hatte, diesen Blogbeitrag zu schreiben, veröffentlichte Renza auf der anderen Seite der Welt (auf Englisch) einen Beitrag, der in vielen Punkte in eine ganz ähnliche Richtung zielt.

Diabetestechnik ist toll – aber bitte keine Rankings und kein Wettrüsten!

Nun bingt eine Therapie mit Insulinpumpe, CGM-System und Closed Loop ganz sicher für viele eine große Verbesserung ihrer Glukoseverläufe. Es ist auch klar, dass viele der Bloggerinnen und Blogger dank ihrer Vernetzung untereinander schneller von technischen Innovationen erfahren und die Möglichkeit haben, neue Produkte auszuprobieren. Ich finde es auch cool, dass viele von ihnen eine Art „Trendsetter“ sind, die ihre Leserinnen und Leser auf dem Laufenden halten und über ihre eigenen Tests der neuesten Produkte informieren. Aber ich wünsche mir eben auch, dass wir – ob nun bewusst oder unbewusst, ob nur still in Gedanken oder ausgesprochen – kein Ranking der verschiedenen Therapiemöglichkeiten aufstellen. Und dass wir kein Wettrüsten veranstalten, wer von uns am schnellsten die modernsten technologischen Errungenschaften in seine Therapie integriert.

Jeder Jeck ist anders… und nicht jedem hilft die Technik gleich gut

Denn zum einen haben längst nicht alle Typ-Einser problemlos Zugang zu dem, was vielen von uns längst als „unverzichtbarer Standard“ gilt. Und zum anderen empfindet auch nicht jeder alle verfügbaren technischen Optionen als Gewinn oder Fortschritt. IMG_6641Ich für meinen Teil bin ja froh, dass ich bis dato super mit meiner Therapie aus ICT und Freestyle Libre klarkomme und mir keine weiteren Geräte an den Körper hängen muss, die allesamt ein Eigenleben mit Batterienlebensdauer, Akku-Ladung, Software-Updates und Alarmterror haben, um das ich mich dann kümmern müsste. Jeder von uns hat seine eigenen Vorlieben, jeder hat einen Diabetes mit anderen Mucken und Erfordernissen, jeder Lebensalltag hat andere Besonderheiten und Herausforderungen, denen man nicht immer mit einem MEHR an Technik optimal begegnen kann. Oder wie man in Köln so schön sagt: Jeder Jeck ist anders!

Mein neuer Markenkern: Ich bin die einzige Typ-1-Bloggerin mit ICT!

Vielleicht bin ich inzwischen die letzte Typ-1-Bloggerin, die ihr Insulin per ICT appliziert. Aber jedenfalls habe ich beschlossen, das nicht als ein Manko zu sehen, sondern vielmehr diese vertrackten Wörtchen nur und immer noch aus meinem Wortschatz zu streichen, wenn ich über meine Therapie spreche. Und stattdessen die Tatsache, dass ich möglicherweise die einzige aktive ICT-Bloggerin bin, zu meinem Markenkern (oder in Marketing-Sprech USP) zu machen. 🙂

*Disclaimer: Die Firma Ascensia hat mich zu diesem Blogger-Event eingeladen. Sie hat keine Reise- oder Unterbringungskosten übernommen, weil diese Kosten bereits anderweitig abgedeckt waren. Es gab keinerlei Absprache darüber, ob und was ich über dieses Blogger-Event schreibe.

7 Kommentare zu “Insulinpumpen sind modern, Insulinpens sind vorsintflutliche Technologie. Was ist falsch an diesem Satz?

  1. Pingback: Closed Loop: Überflüssiger Firlefanz oder der heilige Gral? | Süß, happy und fit

  2. Vor 3-4 Jahren gab es mal einen kleinen ‚Artikel‘ im Diabetes Ratgeber über eine skandinavische Studie, ich meine es wäre eine schwedische gewesen, die festgestellt haben will, dass Insulinpumpen schonender für das Herz seien als Insulinpens. Ich könnte mir das nur so erklären, dass das Insulin bei einer Pumpe überwiegend ‚tröpfchenweise‘ abgegeben wird und nicht wie bei einem Pen auf einem Mal. Damit schonender-

    Ob da nun etwas dran ist, kann ich leider nicht sagen. Eine Ärztin darauf angesprochen sagte, dass es vielleicht eine Studie sei, die von einem Hersteller finanziert wurde. Das sagt man allerdings über die Einnahme von Vitamin D in Deutschland auch.

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  3. Diesen Bericht kann ich nur unterstreichen 👍

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  4. Tachschön Antje

    Habe deinen Blog Beitrag eben mit viel schmunzeln und Kopfnicken gelesen und kann dir in allen Punkten voll zustimmen. Mich nervt es auch ungemein, wenn ich ab und an auf Blogs lese und immer wieder feststelle, dass der Betreiber des Blogs ein Pumpenträger ist und die Insulinpumpe als eierlegende Wollmilchsau anpreist. Deswegen empfinde ich es prima, wenn es noch Blog-Betreiber gibt, welche Pens verwenden und ihre „alte“ ICT gut in den Griff haben. Man könnte denken, es ist besonders Hip, wenn wer als Pumpenträger einen Blog betreibt, was völlig Banane ist für mein Empfinden.
    Aus den „Berufsdiabetiker“ Foren habe ich mich weitestgehend zurück gezogen, weil dort zumeist ebenfalls eine gewisse Diskrepanz zischen „Pumpern“ und „Penern“ besteht. Ferner bin ich der Meinung, dass eine Technik nur so gut ist, wie derjenige welche sie bedient. Es gibt mehr als genug Leute, welche zufrieden sind mit Pen und ICT und damit wunderbar fahren. Entscheidens ist letztendlich der HBA1C und wie sich die Werte allgemein gestalten. Dank Freestyle Libre und der Kostenübernahme vieler Krankenkassen, halte ich eine Insulinpumpe bei vielen sogar für überflüssig.
    Bisher bin ich mit Pen und ICT gut gefahren, wobei ich gestehen muss, dass ich einen Pumpenantrag laufen habe. Dies weil ich eine schwierige Stoffwechsellage habe und die Werte stark schwanken, sowie wegen bisher leichterer Folgeschäden. Kämpfe zur Zeit mit einer klaffenden OP Narbe am Fuß herum, welche einfach nicht zuwachsen will aufgrund einer Wundheilstörung. Für mich wäre es wunderbar bessere Werte zu erzielen, zumal Typ 1 Diabetes nicht meine einzige Aotoimunerkrankung ist. Eine Insulinpumpe hat durchaus eine Menge vorteile, abwägen was besser ist, muss ohnehin jeder selbst.

    Grüßle Didi

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  5. Liebe Antje,
    das Wort „nur“ solltest du tatsächlich aus deinem Wortschatz streichen! Ich bin der Meinung, dass jeder die für ihn beste Therapie haben sollte. Entscheidungsfreiheit ist das Zauberwort. Deshalb setze ich mich so für den Open Source Loop ein. Wenn du mit weniger Technik zurechtkommst und damit glücklich bist, hast du doch für dich die beste Therapie, also was sollte daran falsch oder rückständig sein!?
    LG Saskia

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    • Liebe Saskia, dankeschön, das hast du schön gesagt. Ich habe diesen kurzzeitigen „Minderwertigkeitskomplex“ gegenüber den Techies ja längst überwunden. Doch die Diskussion bei dem ATTD-Blogger-Event hat mir gezeigt, dass ich damit offenbar nicht allein bin und dass viele so empfinden… LG Antje

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  6. Ganz ehrlich: Entscheidend ist nicht nur der HBA1c, sondern auch die Time in Range und andere statistische Werte, wie die Standardabweichung oder die Kennzahlen GVI und PGS. Die Qualität der Einstellung kann man auch mit einem FGM gut ermitteln.
    Warum das alles? Natürlich um das Risiko für Folgeschäden möglichst gering zu halten _und_ ein lebenswertes Leben zu haben.

    All die Technik ist _nur_ Mittel zum Zweck.
    Wenn jemand das mit der guten „alten“ ICT im Griff hat, ist doch alles gut!

    Der Grund, dass du so viel von CGM, Pumpe und Opensource DIY Loop liest, ist darin begründet, weil sich das eigentliche Ziel damit für viele besser erreichen lässt.

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