Wer hätte gedacht, dass ich nach 11 Jahren Diabetes nochmal zögern würde, eine Nadel in eine Speckfalte zu rammen. Doch es war halt nicht Insulin, es war keine Pennadel, und es war nicht mein eigener Bauch. Bitte drückt alle mal fest die Daumen, denn Christoph wird heute am Knie operiert – und ich bin für 10 Tage für seine Thromboseprophylaxe zuständig.
Erstmal eins vorweg: Der Eingriff ist keine irre komplizierte und auch keine komplikationsträchtige Angelegenheit. Wenn mein Mann sich nachher auf den OP-Tisch legt, wird arthroskopisch (also per Gelenkspiegelung) ein Stück überschüssige Schleimhaut entfernt, das dazu neigt, sich ungünstig zu falten und dann ins Gelenk zu rutschen. Da verursacht es Schmerzen, die Christoph schon seit Ostern am Lauftraining hindern und bei diversen anderen Tätigkeiten stören. So schmerzhaft die Angelegenheit auch ist, sie zu beheben ist bei Weitem nicht so kompliziert wie z. B. ein Eingriff am Kreuzband oder Meniskus. Insofern sind wir zuversichtlich, dass alles glattgeht und Christoph schon bald wieder mobil ist.
Doch als er gestern vom OP-Vorgespräch zurückkam, gab es dann doch eine Sache, die ihm Sorge bereitete: „Ich muss mir 10 Tage lang zur Thromboseprophylaxe jeden Abend eine Spritze in den Bauch setzen. Ich glaub, ich kann das nicht!“ Ich musste lachen. Zum einen, weil der Spruch „Mich selbst in den Bauch spritzen? Ich könnt‘ das ja nicht!“ unter Menschen mit Diabetes ja fast schon ein geflügeltes Wort ist, so oft wie er unserereins im Alltag begegnet. Die Standard-Antwort lautet dann natürlich: „Klar könntest du das, wenn dein Leben davon abhängt!“ Zum anderen, weil Christoph mich ja täglich mehrfach dabei beobachten kann, wie ich mir Insulin in den Bauch spritze und ganz offensichtlich wenig Probleme damit habe: „Du erwartest jetzt nicht im Ernst von mir, dass ich dich bemitleide, weil du dir etwas in den Bauch spritzen musst?“, fragte ich ihn deshalb.
Klar kann ich spritzen, mache ich doch jeden Tag…
Es war Christoph dann auch tatsächlich ein bisschen peinlich. Und trotzdem bat er mich, ob ich die Aufgabe für ihn übernehmen könnte. Na klar, nichts leichter als das, ich bin schließlich geübt in diesen Dingen. Auch wenn ich seine Angst insgeheim ein bisschen albern fand, versprach ich ihm, das Spritzen zu übernehmen. Tja, und dann war es gestern um 20 Uhr Zeit für die erste Injektion. Ich hatte zuvor noch nie eine Spritze zur Thrombose-Prophylaxe in der Hand gehabt, meinte mich aber zu erinnern, dass sie einem Insulinpen nicht ganz unähnlich sein sollten. Weit gefehlt! So eine Thrombose-Spritze sieht ganz anders aus, hat einen völlig anderen Auslösemechanismus – und eine Nadel, die 10 mm lang und mindestens 5x so dick ist wie die Nadeln auf meinem Insulinpen.

Erheblicher Widerstand beim Einstechen der Kanüle
Es war wirklich seltsam: Da habe ich in 11 Jahren Diabetesdauer – das habe ich nun extra mal ausgerechnet – mir selbst schon etwa 24.000 (!) Injektionen in diverse Speckfalten verabreicht und hatte gestern dann doch Muffensausen. Ich war unsicher, wie ich diese so anders geformte Spritze halten, wie ich Christophs Bauchfalte fixieren und wie ich die Spritze darin versenken sollte – zumal ich ja selbst nichts von alledem spürte. Natürlich konnte ich mich letztlich überwinden, setzte beherzt an und stach zu. Ich war überrascht, wieviel mehr Widerstand ich mit der Kanüle beim Einstechen durch die Haut überwinden musste (und dass es Christoph sehr weh tat). Und dass die Kanüle, kaum hatte ich sämtliche 0,3 ml der Flüssigkeit aus der Spritze gedrückt, blitzschnell zurückschnellte – wohl damit man sich nicht an der dicken langen Nadel verletzten kann. Wenn ich Insulin spritze, achte ich immer darauf, die Nadel noch etwa 10 Sekunden in der Haut zu belassen, damit kein Insulin aus dem Einstichkanal austritt – Insulin ist eine etwas träge Substanz und braucht da etwas Unterstützung. Bei einer Thrombose-Spritze ist das ganz offensichtlich nicht erforderlich.
Mir stehen vermutlich noch 66.000 Injektionen bevor
Die Einstichstelle tat Christoph am Abend noch eine ganze Weile lang weh. Und ich glaube noch nicht einmal, dass das an meiner Spritztechnik lag. Es ist einfach eine ziemlich dicke, deutlich längere Nadel als bei einem Insulinpen. Außerdem wird auf einen Schlag auch eine recht große Menge Flüssigkeit (0,3 ml entsprechen 30 IE aus einem Pen!) ins Unterhautfettgewebe katapultiert. Mehr als ich je für einen einzelnen Bolus abgeschossen habe. Kein Wunder also, dass das unangenehmer ist als eine Insulininjektion. Nun gut, Christoph muss die Prozedur dafür auch nur noch 9x über sich ergehen lassen, während ich bis an mein Lebensende (wenn wir jetzt mal von ca. 30 Jahren Restlaufzeit bei gleichbleibender Therapie ausgehen) noch an die 66.000 Mal den Insulinpen werde ansetzen müssen.
Aber auch wenn ich das zuvor nie für möglich gehalten hätte, habe ich nun ein bisschen mehr Verständnis für den Spruch „Ich könnt‘ das ja nicht!“ und werde in Zukunft vielleicht nicht mehr mit den Augen rollen, sondern etwas nachsichtiger reagieren, wenn Außenstehende äußern, dass sie Hemmungen hätten sich selbst zu spritzen. 😉
Aber nun machen wir uns bereit für die Fahrt zum OP-Zentrum, und ich bitte euch herzlich, Christoph die Daumen zu drücken für einen reibungslosen OP-Verlauf, schnelle Erholung – und Mut für die verbleibenden 9 Thrombose-Spritzen!
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