Süß, happy und fit

Echte Geschichten aus meinem bewegten Leben mit Typ-1-Diabetes

Ciao, Lyumjev – hello again, Liprolog!

Ein Kommentar

Etwa zwei Jahre ist es her, dass ich mein langjährig bewährtes Bolusinsulin Liprolog gegen das neue, ultraschnellwirksame Insulin Lyumjev eingetauscht habe. Doch nun habe ich eine Rolle rückwärts gemacht und mich wieder von dem Turboinsulin verabschiedet.

Dieses Jahr lief es mit meinem Diabetes weniger entspannt als ich es eigentlich gewohnt bin. Ich hatte öfter mal recht ordentliche Schwankungen, und vor allem nach dem Essen gelang es mir weniger häufig, Glukosespiegel deutlich oberhalb des Zielbereichs zu vermeiden. Als einen Grund – nicht der einzige wohlgemerkt – habe ich die Wahl meines Bolusinsulins ausgemacht.

Ohne Spritz-Ess-Abstand geht es nicht

Gewechselt war ich Ende 2021 zu Lyumjev, weil ich genervt war von den langen Spritz-Ess-Abständen, die ich mit Liprolog einhalten musste, um meine Kurven halbwegs unter Kontrolle zu behalten. Ausführlich habe ich hier über meine Gründe für den Switch zu Lyumjev geschrieben. Tatsächlich ist es im Alltag wirklich lästig, wenn man nach der Injektion so elend lang warten muss, bis das Insulin anfängt zu wirken. Da helfen auch alle Beteuerungen der Pharmaindustrie nichts, man könne mit den modernen Insulinanaloga problemlos unmittelbar vor der Mahlzeit oder sogar erst danach spritzen. Das ist meiner Meinung nach – gelinde gesagt – Bullshit. Man muss auch keine besonderen Fachkenntnisse in Pharmakologie haben, um diese Werbeaussagen kritisch zu hinterfragen. Denn solange Insulin ins Unterhautfettgewebe anstelle direkt in die Blutbahn gespritzt wird, wird es immer ein Weilchen brauchen, um tatsächlich ins Blut zu gelangen und dort nach und nach seine Wirkung zu entfalten.

Wenn das Insulin die Kohlenhydrate überholt…

Doch von Lyumjev versprach ich mir einen deutlich kürzeren Spritz-Ess-Abstand, damit ich z. B. auch bei Restaurantbesuchen ein bisschen entspannter agieren kann. Diese Erwartung hat das Insulin auch wirklich erfüllt. Seine Wirkung setzte deutlich früher ein als die von Liprolog, sodass ich unmittelbar nach den Mahlzeiten – also etwa ein bis zwei Stunden nach dem Essen – weniger Glukosespitzen hatte als zuvor. Was mir mit der Zeit zunehmend Probleme bereitete, waren die dann folgenden Stunden. Vielleicht hat mein Stoffwechsel sich verlangsamt und braucht mittlerweile länger dafür, alle Kohlenhydrate meiner Mahlzeiten in Glukose umzuwandeln. Jedenfalls beobachtete ich mit schöner Regelmäßigkeit, dass meine Glukosewerte etwa drei Stunden nach dem Essen noch einmal ordentlich anstiegen. Nämlich genau dann, wenn Lyumjev sich so langsam wieder verdünnisiert hatte. Dass das Turboinsulin mit seiner ultraschnellen Wirkung am Ende die Kohlenhydrate überholt, ist natürlich kein erstrebenswerter Effekt.

Korrekturen wirkten eher nach dem Zufallsprinzip

Und wenn ich für eine solche Glukosespitze einen Korrekturbolus abgab, konnte es gefühlt ewig dauern, bis diese Korrektur ankam. Manchmal brauchte es Stunden dafür – oder die Wirkung des Korrekturbolus setzte erst ein, wenn ich mich in irgendeiner Form körperlich betätigte. Dann dafür aber gewaltig. Dass mir bei Mahlzeiten ’nach hinten raus‘ Insulin fehlte und dann nötige Korrekturen gefühlt eher nach dem Zufallsprinzip wirkten, machten mich im Verlauf dieses Jahres zunehmend unzufrieden. Und dann war da noch diese Verwechslung von Lantus und Lyumjev, die echt ins Auge hätte gehen können und über die ich hier geschrieben hatte. Da hatte ich versehentlich eine Ampulle Lyumjev in meinen Lantus-Pen gesteckt und mir anstelle meines abendlichen Basalinsulins kurz vor dem Schlafengehen mal eben auf einen Schlag 14 Einheiten schnellwirksames Insulin in den Körper gejagt. Zum Glück habe ich den Fehler mithilfe meine analytisch begabten Ehemanns gefunden, bevor mir bei den unweigerlichen nächtlichen Hypos etwas Ernstes passiert ist.

Lantus-Flieder und Lyumjev-Taubenblau

Doch der Grund für die Verwechslung machte mir in der Folge immer wieder ein bisschen Sorge: Lantus und Lyumjev unterscheiden sich in der Farbgebung deutlich weniger als Lantus und Liprolog. Eine Lantus-Ampulle ist rings um die Durchstechmembran fliederfarben (für Männer und andere wenig farbdifferenzierte Menschen: das ist ein helles Lila), eine Liprolog-Ampulle ist rot. Das kann ich problemlos auseinanderhalten, auch wenn ich abends im Schummerlicht in die Küche gehe und mir eine neue Ampulle des einen oder anderen Insulins aus dem Kühlschrank nehme. Bei Lichte betrachtet, unterscheidet sich das Lantus-Flieder natürlich erkennbar von dem Taubenblau (für Männer und andere wenig farbdifferenzierte Menschen: das ist ein eher dunkles Graublau mit einem klitzekleinen Hauch ins Lila) der Lyumjev-Ampulle. Aber im Schummerlicht ist der Unterschied nicht so groß wie er idealerweise sein sollte. Und da ich gegen Ende einer Zehnerpackung Insulin auch mal einzelne Ampullen im Blister im Butterfach liegen habe, hilft mir dann auch die Pappschachtel nicht mehr weiter. Das soll meine Nachlässigkeit nicht entschuldigen, die zu dieser gefährlichen Verwechslung geführt hat. Aber sie erklärt, warum ich seither bei jedem Ampullenwechsel dreimal hingeschaut habe und dennoch immer ein etwas mulmiges Gefühl hatte. Die Ampullen-Farbgebung für sich genommen wäre natürlich kein Grund für einen Wechsel des Insulins, aber sie ist ein klitzekleiner Baustein unter meinen Entscheidungsgründen.

Das Bild zeigt links drei Ampullen Liprolog, in der Mitte drei Ampullen Lyumjev und rechts drei Ampullen Lantus

Bessere Insulinwirkung ’nach hinten raus‘

Nun also bin ich zurück bei Liprolog. Und nach ein paar Wochen kann ich sagen: Mein Spritz-Ess-Abstand ist zwar wieder länger als mit Lyumjev, aber nicht ganz so lang wie vor meinem Wechsel zu dem ultraschnellen Insulin. Aber ’nach hinten raus‘ wirkt Liprolog auf jeden Fall länger und kann damit auch Glukoseanstiege abfangen, für die Lyumjev einfach keine Zeit mehr hatte. Außerdem habe ich das Gefühl, dass Korrekturen wieder besser und zeitnäher wirken. Und zwar zuverlässig und nicht nach dem Zufallsprinzip. Insofern bin ich erst einmal wieder etwas zufriedener mit meinem Bolusinsulin. Es gibt zwar meines Wissens keine wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema, aber ich habe diese Theorie auch schon von anderen gehört: Nach längerem Gebrauch reagiert der Körper nicht mehr so gut auf ein Insulin wie zu Beginn der Nutzung. Und deshalb könnte es ja sein, dass ein gelegentlicher Wechsel zwischen verschiedenen Insulinen sinnvoll ist, um diesen ‚Abnutzungserscheinungen‘ vorzubeugen.

Als Übeltäter vermute ich die Wechseljahre

An meinen anderen Baustellen ändert sich durch den erneuten Wechsel allerdings nichts. Denn weder kann Liprolog meiner generell etwas lustloseren Haltung gegenüber meinem Diabetes entgegenwirken. Noch kann es etwas gegen die ständigen Veränderungen meiner Insulinempfindlichkeit ausrichten. Ich führe es auf die Wechseljahre zurück, dass ich alle paar Tage meine Bolusfaktoren und alle paar Wochen meine Basalrate anpassen muss. Insgesamt bereitet mir die Menopause zwar keine nennenswerten Beschwerden. Anders als zu Beginn habe ich nicht mehr mit Hitzewallungen zu tun, über die ich hier 2017 ja mal geschrieben hatte. Nur manchmal ist mir nachts heiß und ich habe das Gefühl, mein innerer Thermostat sei irgendwie kaputt. Auch von Stimmungsschwankungen kann ich eigentlich nicht groß berichten. Meine etwas trübsinnige Gefühlslage führe ich eher auf die aktuelle Nachrichtenlage als auf meine Hormonschwankungen zurück.

Alle paar Tage ändert sich die Insulinempfindlichkeit

Doch in Sachen Diabetes bin ich mir ziemlich sicher, dass mir die (fehlenden) Hormone zurzeit ordentlich dazwischenfunken. Und ich sage euch: Es macht keinen Spaß, alle paar Tage festzustellen, dass die im Bolusrechner mühsam hinterlegten Daten schon wieder hinfällig sind, weil sich die Insulinempfindlichkeit rapide ändert. In den vergangenen Wochen musste ich meine tägliche Dosis Basalinsulin (Lantus) innerhalt weniger Tage von 12 auf 18 Einheiten hochschrauben, nun bin ich nach ein paar Nächten mit grenzwertig niedrigen Werten wieder bei 15 Einheiten angelangt. Über viele Jahre hinweg war meine Insulinempfindlichkeit morgens am höchsten (ich weiß, im Lehrbuch steht es genau andersherum…), auf einmal brauchte ich für’s Frühstück genauso viel Insulin wie zu den anderen Mahlzeiten. Kurz drauf musste ich den Faktor fürs Mittagessen von 1,0 auf 2,0 hochsetzen, um ihn zwei Wochen später wieder nach unten zu korrigieren.

Im Wochenrhythmus an den Faktoren basteln? Das nervt!

In den Wochen, als ich noch meine letzten Ampullen Lyumjev aufgebraucht habe, hatte ich erstmals nur noch knapp unter 70% Zeit im Zielbereich (70–180 mg/dL). Damit war ich mega unzufrieden, weil ich sonst eigentlich immer ohne große Anstrengung um die 85% erreiche. Immerhin das hat sich inzwischen wieder eingependelt. In den vergangenen 14 Tagen lagen 86% meiner Werte im Zielbereich, 10% darüber und nur 2% über 250 mg/dL bzw. nur 1% zwischen 54 und 69 mg/dL. Damit bin ich zufrieden, logisch. Doch an meiner generellen Diabetesmüdigkeit ändert auch dieser Erfolg nichts. Es macht keinen Spaß, ständig an den Faktoren herumbasteln zu müssen. Ab und zu bin ich damit einverstanden, beim traditionellen Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit zum Beispiel, den ich ja regelmäßig bei meinem Diabetes beobachte. Aber im Wochenrhythmus finde ich das sehr lästig und ermüdend.

Ich hoffe, dass sich mein Hormonstatus im neuen Jahr ein bisschen stabilisiert und mein Diabetes wieder ein halbwegs pflegeleichter Zeitgenosse wird. Gleichzeitig wünsche ich mir aber auch, dass Frauen mit Diabetes besser über den Zusammenhang zwischen Insulinempfindlichkeit und Wechseljahren aufgeklärt werden. Denn hierzu gibt es nach meinen Erfahrungen so gut wie keine Informationen.

Ein Kommentar zu “Ciao, Lyumjev – hello again, Liprolog!

  1. Avatar von Regina

    Ja, das Defizit zu diesem Thema ist groß. Weder die Frauenärztin noch die Diabetologin wussten dazu vor etwa 10 Jahren was. Im Internet fand ich dann irgendwann die Studie mit den kanadischen Krankenschwestern. Das Resümee soll gewesen sein, dass Typ 1 Diabetikerinnen durchschnittlich 6 Jahre früher in die Wechseljahre kommen als Frauen ohne Typ 1. Heute weiß man/frau auch nicht mehr. In Schulungen fällt das Thema hinten runter. Forschung ist wohl zu uninteressant oder teuer.

    Lass den Kopf nicht hängen 🙂
    Regina

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