Vor ein paar Tagen habe ich an einer Befragung zur Marktforschung rund um das neue kurzwirksame Insulin Lyumjev teilgenommen. Und das hat mich daran erinnert, dass ich euch noch gar nicht von meinem Sinneswandel erzählt habe. Denn mittlerweile nutze ich dieses Insulin und bin ziemlich begeistert.
Das mag manche von euch vielleicht verwundern, schließlich habe ich vor noch gar nicht allzu langer Zeit 10 gute Gründe aufgelistet, warum ich keine Lust auf einen Versuch mit dem neuen Turbo-Insulin hatte. Aber wie das Leben nun mal so ist: Manchmal ändern sich die Rahmenbedingungen, und auf einmal erscheinen einem Optionen interessant, bei denen man zuvor nur müde abgewunken hat. Ich erzähle euch also mal, wie es dazu gekommen ist, dass ich meine Meinung geändert habe und wie ich nun mit Lyumjev klarkomme.
Irgendwann im Verlauf des vergangenen Sommers stellte ich immer häufiger fest, dass ich mit meinem bisherigen Mahlzeiteninsulin Liprolog (das gleiche Insulin wie Humalog) einen immer längeren Spritz-Ess-Abstand (SEA) einplanen muss, wenn ich heftige Glukosespitzen nach dem Essen vermeiden möchte. Wir reden hier über 30 bis 40 Minuten vor dem Frühstück und ca. 20 Minuten vor den anderen Mahlzeiten. Auch wenn ich meinen Alltag als Freiberuflern sicherlich einfacher als andere Leute selbst takten und damit auch an die Erfordernisse meines Diabetesmanagements anpassen kann – so lange SEA waren dann doch oft schwer einzuhalten. Mit der Folge, dass ich häufiger mal mit nervigen Glukoksespitzen nach dem Essen zu kämpfen hatte, die mir den eigentlich sehr guten Schnitt verhagelten.
Wenn Insulin bei Korrekturen kaum besser als Wasser wirkt…
Hinzu kam, dass Liprolog bei der Korrektur dieser Spitzen gefühlt ebenfalls immer länger brauchte um zu wirken. Ich hockte nach einem Korrekturbolus dann also da, schaute in Abständen auf meine Glukosekurve und ärgerte mich, dass sie sich immer noch nicht zurück in den grünen Bereich bewegte. Ihr kennt das sicher: Dann fragt man sich, ob man statt Insulin wohl versehentlich Wasser gespritzt hat, ob man doch eine höhere Korrektur hätte spritzen sollen, ob sich ein Infekt anbahnt, ob sich die Erde auf einmal um den Mond statt um die Sonne dreht etc. pp. Und irgendwann haut man halt genervt mit einem zweiten Korrekturbolus drauf. Nur um eine Weile später in eine Hypo zu rutschen, die sich gewaschen hat. Ein paarmal schaue ich mir sowas an und verbuche es unter ‚ist halt dumm gelaufen‘, doch wenn es häufiger passiert, wächst bei mir dann doch der Wunsch, es mit einer grundsätzlichen Veränderung zu versuchen.
„Seien Sie vorsichtig – und berichten Sie mir ausführlich!“
Und so bat ich meinen Diabetologen bei meinem letzten Besuch im August, mir einmal probehalber Lyumjev zu verschreiben. Er fand meine SEA zwar auch sehr lang und unpraktikabel, war aber zunächst ein bisschen zurückhaltend, weil er mir keine Ratschläge für diesen Versuch mit auf den Weg geben konnte. „Ich habe nicht viele Patienten, die Lyumjev nutzen, kann also noch nicht allzu viel dazu sagen. Seien Sie vorsichtig und ändern Sie außer dem SEA keine anderen Parameter – und berichten Sie mir dann mal, wie es läuft!“ Okay, hier also mein Bericht – nicht nur für meinen Diadoc, sondern auch für andere möglicherweise Interessierte.
Meine Beobachtungen nach ein paar Monaten Lyumjev
Ich muss dazusagen, dass ich mein Experiment nicht sonderlich wissenschaftlich durchgeführt und aufbereitet habe. Ich habe zum Beginn meiner kleinen Privatstudie keinen Status erhoben (Baseline-Charakteristika) und meine Studienziele eher vage formuliert („Mal gucken, ob Lyumjev bei mir brennt“ und „Mal gucken, ob ich damit einen kürzeren SEA brauche“ und „Mal gucken, ob Korrekturen schneller wirken“). Ich habe möglicherweise neben dem SEA gelegentlich auch mal andere Parameter verändert (irgendwann war z. B. eine Anpassung meiner Basaldosis von Sommer- auf Winterzeit fällig, und das Level meiner sportlichen Motivation und Aktivität variierte auch von Woche zu Woche stark). Aber ein paar brauchbare Erfahrungswerte könnten vielleicht doch dabei sein. Hier also meine Beobachtungen, nachdem ich in den vergangenen Monaten mittlerweile 7 Ampullen Lyumjev verbraucht habe:
- Bei mir brennt Lyumjev nicht stärker an der Einstichstelle als zuvor Liprolog. Ich nenne diesen Punkt an erster Stelle, denn heftiges Brennen an der Einstichstelle wäre für mich tatsächlich ein k.o.-Kriterium gewesen. Von anderen Typ-Einsern hatte ich gehört, dass sie mit Lyumjev in der Pumpe ihren Katheter täglich wechseln müssen, weil das Brennen sonst unerträglich ist. Mir fehlt schlicht die masochistische Ader, um solche unangenehmen Nebenwirkungen auf einer täglichen Basis zu ertragen. Ich bin also sehr froh, dass dieser blöde Nebeneffekt bei mir nicht eingetreten ist.
- Die Wirkung von Lyumjev setzt wirklich deutlich früher ein als die von Liprolog. Beim Frühstück reichen nun 10 bis 15 Minuten SEA, bei den anderen Mahlzeiten 5 bis 10 Minuten. Im Alltag heißt das: Wenn Christoph Frühstück macht (was er zu meiner großen Freude quasi jeden Morgen tut! <3), musste ich bei Liprolog noch vor dem Duschen meinen Frühstücksbolus spritzen, damit es passt. Jetzt spritze ich erst, kurz bevor ich mich an den Frühstückstisch setze.
- Auch bei Korrekturen ist Lyumjev deutlich effektiver als zuvor Liprolog. Ich hatte bislang noch keine Glukosespitze, die ich mit einem Korrekturbolus nicht binnen einer Stunde wieder in den Zielbereich zwingen konnte. Das ist auch emotional eine große Erleichterung, denn eine scheinbar nicht wirkende Korrektur kann ja doch gehörig an den Nerven zerren. Nun weiß ich, dass ein Ausreißer mit einem Korrekturbolus schnell wieder zu beheben ist und kann mich danach wieder uneingeschränkt auf andere Dinge konzentrieren.
- Auf meine Zeit im Zielbereich und andere Parameter aus dem Ambulanten Glukoseprofil hatte Lyumjev trotzdem keinen Einfluss. Meine Werte liegen weiterhin relativ konstant um die 85% im Zielbereich (70–180 mg/dL), etwa 1% oberhalb vom 250 mg/dL und etwa 1% unter 70 mg/dL. Auch an der Schwankungsbreite (Glukosevariabilität) hat sich nichts Nennenswertes verändert. Warum das so ist, obwohl das Insulin nun doch schneller wirkt, kann ich nicht so recht erklären. Aber da ich meine Therapieziele weiterhin erreiche, mache ich mir auch keine großen Gedanken darüber.
- Die Wirkung von Lyumjev scheint auch früher nachzulassen als die von Liprolog. Ich kann das nur schwer in Stunden oder Minuten beziffern. Doch ich habe schon mehrfach beobachtet, dass meine Glukosekurve z. B. nach einem Frühstück mit einem hohen Anteil langwirksamer Kohlenhydrate erst etliche Stunden nach der Mahlzeit auf einmal stark ansteigt. Mein Eindruck ist, dass Lyumjev den unmittelbaren Glukoseanstieg durch schnellwirksame Kohlenhydrate wie in Marmelade oder Obst also perfekt abfedert, sich aber nach hinten raus ein bisschen zu früh verabschiedet und schon nicht mehr wirksam ist, wenn Lebensmittel wie Vollkornbrot oder Milchprodukte sowie Fett-Protein-Einheiten (FPE) voll durchschlagen. Dann muss ich unter Umständen an einem Punkt gegensteuern, bei dem ich mit Liprolog überhaupt keine Probleme gehabt hätte. Während es beim Essen nervig sein kann, dass die Wirkung von Lyumjev früher nachlässt als die anderer Insuline, ist das für die Planung von Sporteinheiten sicherlich von Vorteil, zu denen man ja nicht so gern mit viel ‚Insulin an Bord‘ starten möchte. Wenn da nicht die Sache mit der stark schwankenden Sportmotivation wäre, hätte ich das auch längst intensiver ausprobiert. Ich hoffe aber, dass ich diese fehlenden Daten demnächst mal nachliefern kann. 🙂
- Da Lyumjev von Firma Lilly stammt, passt es in meinen gewohnten Insulinpen Humapen Luxura, den ich sehr mag und der mir seit über 10 Jahren treue Dienste erweist. Ich brauche dafür keinen neuen Pen, sehr schön.
- Ich habe inzwischen geübt, wie man Lyumjev buchstabiert. Erst das L, dann das Y, dann das J, dazwischen wie man’s spricht – und jeden Buchstaben nur einmal verwenden. Alles eine Übungssache, obwohl ich den Namen weiterhin ziemlich schräg finde.
- Wenn ich das nächste mal ein Rezept für Insulin in meine Praxis abholen muss, werde ich trotz des schwierigen Namens nicht so leicht vergessen, welches Insulin ich gern nachordern möchte. Denn seit einer Weile begleitet mich der uralte Hit von den Bee Gees ‚Juliet‘ als Ohrwurm. Hört ihn euch einfach mal an und singt ‚Lyumjev‘ statt ‚Juliet‘. Lyumjev, ohoho Lyumjev, the night was magic when we first met…Na, hört ihr es auch in Dauerschleife? Gern geschehen. 🙂

Pingback: 12. Diabetes-Jubiläum – dieses Mal in Corona-Quarantäne | Süß, happy und fit
30. Januar 2022 um 17:12
sach mal, kannst du mir nicht mal so was tolles, sachlich-wissenschaftliches für nen zweier empfehlen?
du machst das extrem gut aber mit meinen DIA2-geschichtenmuss ich hier gar nicht reingrätschen.
obwohl ich nach acht tagen karlsburg – der prof-katsch ursitz – mit lipponsäure und neuen medis bei meiner aktuellen kurve zahlreiche fragen hätte..
das doc-team war diesmal irwie gestresst.
LikeLike
30. Januar 2022 um 19:50
Moin, ui da fragst du Sachen… Blogs von T2 kenne ich nicht so viele, außer den von Jörg Lohse https://www.leben-mit-diabetes-typ2.de/. Die einschlägigen Newsletter kennst du wahrscheinlich? Liebe Grüße
LikeLike