Ich bin sehr dankbar, dass sich mein Blutzucker meist relativ brav und vorhersehbar benimmt. Die Betonung liegt auf MEIST. Denn in den vergangenen Wochen habe ich recht intensiv daran basteln müssen, die Dosis für mein Basalinsulin und meinen morgendlichen KE-Faktor wieder in den Griff zu bekommen.
Mein Diabetes mag keine schleichenden Veränderungen. Wenn er sich überlegt, dass er künftig mehr Basalinsulin braucht, dann entscheidet er das sehr plötzlich. Das gleiche gilt für KE-Faktoren: Gestern reichten 0,5 Insulineinheiten (IE) pro Kohlenhydrateinheiten (KE)? Macht nix, ab heute sollen es bitteschön 1,2 sein. Zum Glück passiert das nicht oft, sodass ich überwiegend gut klarkomme und nur selten mit größeren Blutzuckerschwankungen zu kämpfen habe. Doch in letzter Zeit war ein bisschen der Wurm drin. Es fing damit an, dass gegen Ende November 2014 mein morgendlicher Insulinbedarf für das Frühstück schlagartig von 0,5 IE/KE auf 1,0 IE/KE anstieg. Es kostete mich ein wenig Überwindung, mir auf einmal die doppelte Menge Insulin für eine Mahlzeit zu spritzen, doch die Blutzuckerwerte sprachen für sich: Das ist offenbar mein neuer Bedarf.
Von 14 auf 7 zurück auf 12 Einheiten Lantus innerhalb von 9 Monaten
Mit Beginn des neuen Jahres wurde es dem Diabetes dann gleich wieder langweilig und er beschloss, dass auch der Basalbedarf mal wieder auf den Prüfstand gehört. Ich hatte im Frühjahr 2014 noch täglich zwischen 12 und 14 Einheiten Lantus gespritzt und im Sommer schrittweise auf bis zu 7 Einheiten reduziert, weil ich auf einmal mit deutlich weniger Basalinsulin auszukommen schien. Als ich Anfang November 2014 begann, das Freestyle Libre zu nutzen, konnte ich die Nachtverläufe meines Blutzuckers endlich bestaunen, ohne mir stündlich den Wecker zu stellen – und es bestätigte sich, dass 7 bis 8 Einheiten Lantus tatsächlich prima ausreichten (warum auch immer der Bedarf im Sommer auf einmal wieder so zurückgegangen war… Sonne? Sport? Weniger Kohlenhydrate gegessen und deshalb bessere Insulinempfindlichkeit? Auf einmal ein paar insulinproduzierende Betazellen aus dem Zwangsurlaub zurückgekehrt? Immer noch Remission nach knapp fünf Jahren Diabetesdauer? Es wird mir ein Rätsel bleiben…). Vor ein paar Wochen änderte sich das Bild der nächtlichen Kurven wieder: Angesichts von Glukosewerten von konstant 150 bis 160 mg/dl in der Nacht beschloss ich, die Basaldosis wieder zu erhöhen. Inzwischen bin ich wieder bei 12 Einheiten Lantus angelangt und komme damit gut zurecht, auch ohne tagsüber gegen das Basalinsulin anessen zu müssen.
Wie spritze ich mit dem Insulinpen einen verzögerten Bolus?
Doch die nächste Baustelle folgte auf dem Fuß: Nachdem ich dank des Freestyle Libre gelernt hatte, dass ich vor dem Frühstück einen größeren Spritz-Ess-Abstand (SEA) benötige, konnte ich mich ein paar Monate lang über wirklich schöne Glukoseverläufe am Vormittag freuen: Es gab keine postprandialen Spitzen über 160 mg/dl mehr, wenn ich etwa 25 Minuten SEA einhielt (und natürlich auch den „neuen“ Faktor 1,0 statt vormals 0,5 beachtete). In den vergangenen zwei Wochen funktionierte das leider nicht mehr so schön: Zwar blieb der Blutzucker nach dem Frühstück sehr konstant, doch etwa 2 bis 3 Stunden danach stieg er rasant an auf über 200 mg/dl. Ich habe eine Weile herumgerätselt und bin dann zu dem Schluss gekommen, dass ich durch den verlängerten SEA das Wirkfenster meines kurzwirksamen Insulins (Liprolog) ein entscheidendes Stück nach vorn verschoben habe. Dieses Wirkfenster reichte dann für mein Standardfrühstück (eine Scheibe Vollkornbrot, zur Hälfte mit Serranoschinken und zur Hälfte mit Käse + Marmelade belegt, danach ein Schälchen Quark mit Chiasamen und Obst, dazu Kaffee mit Milch, macht insgesamt rund 60 Gramm Kohlenhydrate) offenbar nicht mehr aus – gerade Quark ist in Sachen Verstoffwechselung ja ein ziemlicher Spätzünder. Hätte ich eine Insulinpumpe, könnte ich hier mit einem verzögerten Bolus arbeiten. Da ich generell weiterhin zufrieden mit meinen Insulinpens bin und nur wegen eines verzögerten Frühstücksbolus nicht auf eine Insulinpumpe umsteigen möchte, behelfe ich mir nun mit zwei verschiedenen Insulinen: Den Großteil des Frühstücks decke ich mit Liprolog (4 IE) ab, dazu spritze ich als Pendant eines verzögerten Bolus 2 IE Normalinsulin (Insuman Rapid), das ein längeres Wirkfenster hat und damit die Kohlenhydrate abfängt, die erst später im Blut ankommen. Den SEA belasse ich bei 20 bis 25 Minuten. Und siehe da: Es funktioniert super, die Glukoseverläufe sind wieder schön konstant und zeigen keine großen Ausreißer nach oben oder unten. Normalinsulin leistet mir übrigens auch gute Dienste, wenn ich abends einmal ein Essen mit recht vielen Fett-Protein-Einheiten (FPE) verputzt habe und vor dem Schlafengehen noch einen kleinen Extrabolus abgebe, der genau diesen Glukoseanstieg abfängt. Dafür nehme ich es in Kauf, dass ich in meinem Diabetestäschchen drei verschiedene Insuline mit mir herumtrage.

Die gestrige Nacht lief zwar nicht optimal, diesen Teil der Kurve bitte ignorieren. Aber schaut doch mal, wie schön das Frühstück (6KE, abgedeckt mit 4 IE Liprolog und 2 IE Insuman Rapid und 20 Minuten SEA) funktioniert hat. Da man es an der Glukosekurve gar nicht erkennen kann: Ich habe um 8 Uhr Insulin gespritzt und von 8:20 bis 9 Uhr gefrühstückt.

Damit 3 statt 2 Insulinpens Platz haben, habe ich mein Täschchen ein wenig umgenäht (es ist übrigens ein Kosmetiktäschchen von Oilily, und die Fächer für die Insulinpens sind eigentlich für Kosmetikpinsel gedacht. In einem zweiten Reißverschlussfach sind mein Accu-Chek Mobile und das Lesegerät für das Freestyle Libre untergebracht).
Bitte nicht zu sehr von der neuen Datenflut stressen lassen!
Dieses Feintuning ist nur so schön möglich, weil ich dank des Freestyle Libre jetzt genauen Einblick in die Glukoseverläufe habe und nicht nur einzelne Blutzuckermesswerte auswerten kann. Ich frage mich mittlerweile allerdings auch, ob diese Datenflut nicht auch zum Stressfaktor werden kann: Früher wäre mir der eine oder andere Ausreißer nicht aufgefallen und ich hätte munter und sorglos vor mich hingelebt, mich über anständige HbA1c-Werte gefreut und wäre mit meinem Diabetesmanagement voll und ganz zufrieden gewesen. Heute bleibt mir kaum etwas verborgen und es fällt mir manchmal schwer, nicht gleich bei jedem weniger schönen Glukoseverlauf unzufrieden zu werden oder gar meine Therapie in Frage zu stellen. Ich denke, bei aller Begeisterung für diese tollen neuen Möglichkeiten zum Sammeln und Auswerten von Daten sollten wir nicht vergessen, dass ein Körper nun einmal keine Maschine ist und sich nicht immer nach denselben Gesetzmäßigkeiten verhält. Und sollten uns deshalb nicht stressen lassen, wenn die Datenflut uns offenbart, das eben trotz aller Überlegungen und Bemühungen nicht immer alles optimal läuft.