Normalerweise bin ich total zufrieden mit meinem Alter. Ich hadere überhaupt nicht damit, dass ich inzwischen mit großen Schritten auf die 50 zugehe, und habe auch meinen Frieden mit den diversen Spuren gefunden, die 48 Jahre bei mir hinterlassen haben. Eine Ausnahme gibt es nun allerdings: Wenigstens für ein Wochenende wäre ich gern zwischen 16 und 25 Jahre alt. Genauer gesagt: an dem Wochenende, an dem in Bad Segeberg das Camp D stattfindet.
Beim Camp D treffen sich alle paar Jahre auf Einladung des Insulinherstellers Novo Nordisk Jugendliche und junge Erwachsene mit Typ-1-Diabetes für ein Wochenende zu einem coolen Zeltlager. Dieses Jahr war ich zum ersten Mal als Pressevertreterin dazu eingeladen und habe den vergangenen Freitag auf dem Landesturnierplatz in Bad Segeberg verbracht. Und auch wenn für mich feststeht, dass ich in meinem Alter definitiv keinen Spaß mehr daran habe im Zelt zu schlafen, habe ich die 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer doch ein bisschen um diese tolle Erfahrung beneidet.
Workshops zu Themen, die in der Diabetespraxis nicht immer zur Sprache kommen
Denn da wurde einiges geboten. Zum Beispiel Workshops zu Themen, über die man beim Termin in der Diabetespraxis eher weniger spricht, über die aber gerade für junge Menschen mit Diabetes ziemlich viele Gedanken kreisen können: Diabetes und Alkohol/Parties, Diabetes und Sexualität, Hackathon und Ideenwerkstatt für neue Diabetesprodukte, Diabetes beim Berufsstart, Esstörungen und Diabulimie, Diabetes und Führerschein, Auslandssemester mit Diabetes, Bloggen und Social Media, Schwangerschaft mit Diabetes… Am zweiten Tag dann ein ganzer Sack voller verschiedener Sportangebote unter Anleitung von Topathleten mit Typ-1-Diabetes, alle mit fachkundiger medizinischer Begleitung, damit auch wirklich niemand Angst vor einer unverhofften Unterzuckerung haben muss. Und dazu natürlich Klönschnack, jede Menge neue Diabuddies kennen lernen, Lagerfeuerromantik und der Charme von Gemeinschaftsbädern und -toiletten. Vor allem aber das Gefühl: Hier haben alle Diabetes, ich bin normal, fast jeder trägt eine Pumpe und/oder einen Sensor, alle müssen Kohlenhydrate berechnen und die Glukosewerte im Blick behalten, niemand stellt blöde Fragen oder schaut komisch aus den Augenwinkeln.
Erwachsen werden ist auch ohne Diabetes schon schwer genug
Wie wichtig das gerade in jungen Jahren ist, machte die Kinderdiabetologin Dr. Simone von Sengbusch aus Lübeck bei der Pressekonferenz deutlich: Es ist ja für junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden kompliziert genug, sich nach dem Schulabschluss für einen möglichen Berufsweg zu entscheiden, von zu Hause auszuziehen, einen eigenen Haushalt zu führen, sich für kurze oder längere Zeit zu verlieben und ihren Papierkram selbst zu erledigen. Junge Menschen mit Diabetes müssen darüber hinaus aber auch auf einmal den Wechsel vom Kinderdiabetologen zum Internisten bewerkstelligen und eigenständig Anträge bei der Krankenkasse für bestimmte Hilfsmittel einreichen. Sie können nicht ohne Weiteres ein Auslandssemester einlegen, weil die Kosten für ihre Diabetestherapie (Stichwort „bekannte Vorerkrankung“!) nicht von Auslandsreisekrankenversicherungen abgedeckt sind. Sie müssen abwägen, ob sie am Arbeitsplatz ihren Diabetes bekanntgeben, ob sie einen Schwerbehindertenausweis beantragen, wie sie sich gegen Berufsunfähigkeit versichern können (wieder das böse Stichwort „bekannte Vorerkrankung“!). Alles ziemlich nervige und uncoole Themen. Da ist es schön, wenn man an so einem Wochenende im Camp D vermittelt bekommt: „Hey, du musst dich zwar um etliche uncoole Extradinge kümmern, aber du bist trotzdem normal und liebenswert, und es gibt ganz viele von deiner Sorte!“
Diabetes ist nicht nur eine persönliche, sondern auch eine politische Aufgabe
Ebenfalls beeindruckend fand ich den Vortrag des Diabetologen Prof. Morten Schütt aus Lübeck (über dessen tolles Wasserprojekt ich an dieser Stelle schon einmal berichtet hatte), der auch die Politik klar in die Verantwortung nahm: Wenn man in Betracht zieht, dass etwa 21 Prozent aller Todesfälle in Deutschland durch den Diabetes verursacht werden, wenn auch die Vereinten Nationen Diabetes als eine globale Gesundheitsbedrohung ansehen, dann kann man Prävention nicht zur Privatsache erklären. Und auch zur Versorgung von Kindern mit Typ-1-Diabetes fand Prof. Schütt klare Worte: „Es ist unerträglich, dass wir in Deutschland keine staatlichen Schulkrankenschwestern haben, obwohl es immer mehr Kinder mit Typ-1-Diabetes gibt, die alle ein Recht auf Teilhabe haben!“ Jawohl, recht hat er!
Auch bei den älteren Semestern kam eine Stimmung wie beim Familientreffen auf
Doch damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Beim Camp D wurden nicht nur Probleme gewälzt. In erster Linie war das Zeltlager ein toller und lustiger Treffpunkt für junge Menschen mit Diabetes, und irgendwie hatten sich auch sehr viele Mitglieder der Diabetes-Community „eingeschmuggelt“ (sprich: sich als Tagesgäste angemeldet bzw. sich freiwillig als Betreuer gemeldet, um gleich das ganze Wochenende im Camp verbringen zu können), die ebenso wie ich die Altersgrenze von 25 Jahren längst hinter sich gelassen haben. Und so kam auch bei uns älteren Semestern eine Stimmung wie beim Familientreffen auf. Schöööööön! 🙂
Hier noch ein paar Foto-Impressionen vom Camp D…
Pingback: Kinners, wie die Zeit vergeht! Das war mein (Diabetes-) Jahr 2018 | Süß, happy und fit