Wenn ihr ältere meiner Blogbeiträge lest, stoßt ihr sicher häufiger auf den Begriff Diabetesmanagement als das, was unsereins tut, um die Glukosewerte in Schach zu halten. Im Verlauf der Arbeit an unserem Positionspapier zu Sprache und Diabetes habe ich mich entschlossen, diesen Begriff über Bord zu werfen. Denn was ich eigentlich mache, ist meinen Diabetes zu behandeln.
Ausgangspunkt meiner Überlegungen war schon damals, als ich meinen ersten Blogbeitrag zum Thema #LanguageMatters schrieb, der blöde Begriff der ‚Diabeteseinstellung‘. Weil Diabetes nun einmal kein Maschinchen ist, an dem man beim Quartals-TÜV ein bisschen an verschiedenen Knöpfchen dreht, damit es wieder einwandfrei läuft und im Alltag keine Mucken macht. Und weil mich die Idee dahinter stört, dass es medizinische Fachleute sind, die eine solche ‚Einstellung‘ vornehmen.
Damals wie heute finde ich, dass die
Aussage – „oje, du bist wohl schlecht eingestellt?“ – suggeriert, dass entweder ich oder mein Diadoc irgendwie versagt haben müssen. Dabei spielt der Diabetes nun einmal oft sein eigenes Spiel, und man versteht erst rückblickend, was genau an einem blöden Tag schiefgelaufen ist. Das hat mit Versagen oder einer falschen Einstellung nichts zu tun.
Süß happy fit vom 31.7.2019
Aber anders als damals finde ich mittlerweile nicht mehr, dass ‚Diabetesmanagement‘ ein passender Ersatz für die unselige ‚Diabeteseinstellung‘ ist. Unmittelbar nachdem mein Blogbeitrag durch die Auszeichnung mit dem DDG-Medienpreis und die Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt Anfang Januar 2020 die eine oder andere Welle schlug, gab es zum einen Kommentare von Menschen, die sich an dem Anglizismus darin störten. Nun ist ‚managen‘ für mein Empfinden zwar längst eingedeutscht und sicherlich auch Menschen ohne besonders tolle Englischkenntnisse ein Begriff. Aber der englische Ursprung lässt sich nicht deuten, und es wäre doch gelacht, wenn man nicht auch ein deutsches Wort dafür auftreiben könnte.
Anfangs kam ich mir regelrecht verwegen vor…
Doch es mussten erst drei Jahre ins Land ziehen, bis ich auf den eigentlich so naheliegenden Begriff ‚behandeln‘ kam. Irgendwann, als wir mit unserer Arbeitsgruppe vor ein paar Monaten in einem Zoom-Meeting über einzelne Passagen des neulich veröffentlichten #LanguageMatters Positionspapiers diskutierten, ging es um das Vermeiden von Anglizismen – und auf einmal machte es in meinem Kopf ‚klick‘, weil mir einfiel, dass man auf Englich ganz selbstverständlich Dinge sagt wie „I need to treat my low blood sugar“. Ich behandele meine Hypo. Ich behandele hohe Glukosewerte. Ich behandele meinen Diabetes. Ich kam mir regelrecht verwegen vor, als ich das zum ersten Mal laut aussprach. Bis dato hatte ich unterschwellig nämlich immer das Gefühl gehabt, dass medizinische Behandlung Ärzt*innen vorbehalten ist. Die haben das – im Gegensatz zu mir – ja schließlich studiert.
Behandlung im Alltag lag schon immer komplett in meinen Händen
Doch dann überlegte ich, was es eigentlich ist, das die Diabetesbehandlung im Alltag ausmacht. Nämlich: Glukosewerte überwachen, Kohlenhydrate einschätzen, je nach aktuellem Messwert und geplanten Aktionen (Essen, Bewegung, Stillsitzen, Schlafen etc.) eine passende Insulindosis spritzen, bei Bedarf die Basalrate anpassen. Alle diese Dinge mache ich komplett allein, ohne ärztliche Hilfe. Nicht einmal am Tag meiner Diabetesdiagnose hat mein Diabetologe oder meine Diabetesberaterin den Insulinpen gezückt und mir den ersten ‚Schuss‘ gesetzt. Ich erinnere mich noch, dass ich mich im ersten Moment etwas überfordert fühlte und die Diabetesberaterin fragte: „Machen Sie das jetzt nicht für mich?“ Woraufhin sie sagte: „Nein, das machen Sie ganz allein, schauen Sie mal…“ und mir erklärte, wie man die Pennadel wechselt, Insulineinheiten einstellt, die Hautfalte bildet und Insulin injiziert. Natürlich hatte ich am Anfang deutlich mehr Fragen als heute und brauchte mehr Unterstützung und Erklärungen. Doch die Behandlung im Alltag lag immer komplett in meinen Händen.
Aus ‚Management‘ wird ‚Behandlung‘ oder ‚Therapie‘
Meine Mitstreiterinnen in der Arbeitsgruppe stimmten mir zu, und so durchforsteten wir das Dokument nach Stellen, an denen noch zu lesen war, dass Menschen mit Diabetes ihre Erkrankung ‚managen‘. Wir ersetzten überall ‚managen‘ durch ‚behandeln‘ und ‚Management‘ durch ‚Behandlung‘ bzw. ‚Therapie‘. Als wir das Positionspapier später im größeren Kreis zusammen mit den Vertreter*innen von diabetesDE und der DDG diskutierten, fanden auch die Ärzte in der Runde diesen Austausch nachvollziehbar und vollkommen richtig. Wobei sie durchaus prophezeiten, dass diese Wortwahl manchen Diadocs sauer aufstoßen könnte. „Aber da müssen wir halt durch – es ist schließlich richtig so“, waren wir uns einig.
Mein Diadoc ist für mich natürlich trotzdem unverzichtbar
Wenn ich davon spreche, dass ich meinen Diabetes selbst behandele, erkläre ich meinen Diabetologen und das Diabetesteam meiner Praxis übrigens keinesfalls für überflüssig. Ich bin schließlich nicht in der Lage, mir selbst Blut abzunehmen und Laborwerte korrekt einzuordnen. Gefäßultraschall zur Untersuchung meiner Füße oder Bauchultraschall zum Leber-Check sind auch nicht meine Spezialgebiete. Ich persönlich suche zwar tatsächlich nur selten fachlichen Rat bei meinem Diabetologen, weil ich ganz überwiegend gut klarkomme bzw. mir die meisten Probleme selbst erklären und entsprechend agieren kann. Und doch bin ich jedes Mal dankbar für seinen Zuspruch, für seine Nachfragen, gelegentlich auch mal Trost. Er untersucht mich, behält den Überblick und sammelt alle Befunde, die im Verlauf der Jahre zusammenkommen. Sollten irgendwann einmal an irgendeiner Front Probleme auftauchen, wüsste er, was zu tun ist. Er begleitet und unterstützt mich in meiner Therapie. Für all das ist er unverzichtbar. Doch die Behandlung liegt allein in meinen Händen. Und deshalb benenne ich das ab jetzt auch genau so.
27. November 2022 um 13:04
Liebe Antje,
danke für diesen Blogbeitrag. Er zeigt so schön, dass auch wir Autor:innen uns stetig weiterentwickeln in unserer Sprache. Mir geht es nach meinem ersten Buch ähnlich. Da war es mir wichtig, das Wörtchen „muss“ komplett zu verbannen. Aber in Bezug auf das neue #languagematters Paper ist es doch auch noch nicht ganz „sauber“, auch wenn Sandra Neumann (Lektorat) und ich uns natürlich um eine positive Sprache in Bezug auf den Diabetes bemüht haben. Auch ich arbeite diesbezüglich jeden Tag an mir und meinen Worten. Das Paper hilft mir sehr dabei, denn das leite ich auch ganz gerne einmal weiter, wenn mir bei anderen auffällt, dass Texte negativ konnotiert sind durch die benutzte Sprache. Eine grossartige Initiative, vielen Dank! LG Maren @diabetesbluemchen
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