Leute, ich bin ganz schön stolz. Es ist ziemlich genau drei Jahre her, dass ich bei der DDG-Herbsttagung den DDG-Medienpreis (Kategorie Online) für einen Blogbeitrag zum Thema ‚Diabetes und Sprache‘ erhalten habe. Darin hatte ich eine Debatte über sensible und empathische Sprache gefordert, wie sie in anderen Ländern schon seit vielen Jahren geführt wird. Und heute gibt es nicht nur eine Debatte, sondern auch ein deutschsprachiges Positionspapier zum Thema.
Dieses Positionspapier wird heute im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz von DiabetesDE und #dedoc im Vorfeld des Weltdiabetestags der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Besondere daran ist: Es ist ein gemeinsames Papier von Menschen mit Diabetes, von DiabetesDE und von der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG). Erarbeitet wurde es im Wesentlichen von Autor*innen, die selbst mit Diabetes leben. Doch auch von den beiden großen Diabetes-Organisationen kamen noch viele wertvolle Impulse und Input. Nun zieren die Logos aller drei Gruppen das Papier – und stehen damit auch dafür, dass sich alle drei in ihrem jeweiligen Wirkungskreis für eine sensible und empathische Sprache mit und über Menschen mit Diabetes einsetzen wollen.
Ihr dürft dreimal raten: Ja, ich war auch mit von der Partie. Die von allen Beteiligten am stärksten treibende Kraft war allerdings Dr. Katarina Braune (in den sozialen Medien als @friendocrino bekannt). Sie lebt mit Typ-1-Diabetes, engagiert sich in der DIY-Looper-Szene und arbeitet als Ärztin an der Berliner Charité. Dort hat sie ein Seminar für Medizinstudierende entwickelt, in dem anhand konkreter Fallbeispiele über die Bedeutung von Sprache und Wortwahl in der Kommunikation mit Patient*innen diskutiert wird. Zusammen mit #dedoc hat sie finanzielle Mittel des Berlin Institute of Health (BIH) QUEST Center for Responsible Research eingeworben, die das universitäre Projekt und auch ein kleines Honorar für uns als Mitwirkende am Positionspapier möglich gemacht haben. Und vor allem hat sie alle Beteiligten immer wieder angetrieben, an Abgabetermine und Zoom-Meetings erinnert und bei der Koordination die Fäden in den Händen gehalten. Katarina steht bei der heutigen Pressekonferenz als Vertreterin unserer Community den Journalist*innen Rede und Antwort.
Endlich in einer Reihe mit vielen weiteren internationalen Positionspapieren
Die Arbeit an diesem Projekt hat sich insgesamt über ein Jahr hinweg erstreckt. Wir haben die Kapitel untereinander aufgeteilt und geschrieben, Quellen studiert, alles in einem zentralen Google-Docs-Dokument zusammengetragen und in unzähligen Zoom-Konferenzen immer wieder diskutiert und bearbeitet. Zeitweilig war in der WhatsApp-Gruppe unseres Autor*innen-Teams mehr los als im Familien-Chat meiner Sippe – und das will was heißen. Herausgekommen ist ein 43-seitiges Dokument, das nun zusammen mit den bestehenden Statements aus Australien, Großbritannien, Indien, Lateinamerika, Kanada, Frankreich, Italien, Schweden, Portugal und der Türkei unter www.languagemattersdiabetes.com/the-documents abrufbar ist. Darin gehen wir auf den Hintergrund der #LanguageMatters-Bewegung ein und erklären die Relevanz von Sprache im therapeutischen Kontext. Wir beleuchten diabetesbezogene Belastungen, die durch unbedachte Wortwahl oder diskriminierende/stigmatisierende Äußerungen verstärkt werden können. Wir verweisen auf die aktuellen Leitlinien zur Diabetestherapie, in denen (wissenschaftlich abgesichert!) die gemeinsame Entscheidungsfindung von Menschen mit Diabetes und ihren Behandlungsteams empfohlen wird – was natürlich einer Sprache bedarf, die von Respekt und Wertschätzung geprägt ist, und nicht etwa im vorwurfsvollen Befehlston daherkommt.
Zusätzliche Tipps für spezifische Personengruppen
Weiterhin geben wir Tipps zur Sprache des Diabetes für spezifische Personengruppen – sprich: Diabetesteams, Medienschaffende und Personen aus dem sozialen Umfeld von Menschen mit Diabetes. Und natürlich jede Menge Beispiele für ungünstige Begriffe bzw. Formulierungen und Empfehlungen dafür, wie man den gemeinten Sachverhalt diskriminierungsfrei zum Ausdruck bringen kann. Abgerundet wird das Dokument durch O-Töne von Menschen aus der Community, die noch einmal den persönlichen Blick Einzelner auf das Thema veranschaulichen.
Hoffentlich nur der Auftakt für etliche weitere Gemeinschaftsprojekte
Es war toll, mit einer so engagierten Gruppe an diesem wichtigen Projekt zusammenzuarbeiten. Wir haben viel miteinander diskutiert, waren auch nicht immer in allen Punkten einer Meinung. Es war sehr spannend, die Blickwinkel der anderen Beteiligten kennen zu lernen – insbesondere auch die ärztliche Perspektive, die trotz meiner vielen Kontakte in diese Berufsgruppe doch immer wieder neue Facetten bereithält. Besonders gefreut habe ich mich über die gegenseitige Wertschätzung innerhalb der Arbeitsgruppe – so etwas ist leider, leider noch nicht die Regel, wenn Ärzt*innen und ihre Organisationen mit unsereins zu tun haben. Allzu oft verfolgt halt doch jede Gruppe ihre eigene Agenda – doch genau das war bei diesem Positionspapier eben nicht der Fall. Und ich hoffe sehr, dass dies nur der Auftakt für etliche weitere Gemeinschaftsprojekte war! Ich habe noch einmal viel dazugelernt und in meinem persönlichen Vokabular ein paar weitere Begriffe und Formulierungen ausgemistet und durch passendere Alternativen ersetzt. Dazu demnächst mehr, an meinen Gedanken über die eine oder andere Formulierung möchte ich euch gern teilhaben lassen!
Ich bin nun sehr gespannt, wie das deutschsprachige Positionspapier (hier ist übrigens noch der direkte Link) von der Fachwelt, der breiten Öffentlichkeit und natürlich der Diabetes-Community aufgenommen wird und welche Debatten sich möglicherweise daran anschließen. Schreibt mir gern, was euch dazu durch den Kopf geht! Zuallererst aber bin ich heute einfach mal stolz auf das, was wir da gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Vielen Dank an alle Beteiligten für die tolle Zusammenarbeit!
Pingback: Buchtipp für Familien mit Diabetes-Kids: ‚Rock around the clock mit Diabetes Typ 1‘ | Süß, happy und fit
12. November 2022 um 0:10
Liebe Antje,
ich bin unglaublich stolz auf Dich und euch alle! Ich finde es so wichtig, dass wir auch in der deutschen Sprache in diesem Bereich vorankommen, denn für mein Befinden herrscht gerade in der angewandten Diabetessprache und auch in den Medien und redaktionellen Texten im deutschsprachigen Raum noch zu viel wertende Negativität, die u.a. zu Schuldgefühlen führt, also noch zu wenig Achtsamkeit in der Sprache.
Mir selbst ist eine bedachte, positive Sprache sehr wichtig, was sich in unserem Diabetes Alltag, meinem Wirken auf Social Media und auch in meinem Buch „Rock around the Clock mit Diabetes Typ 1“ widerspiegelt, denn hier kommt aus meiner Feder kein einziges „Muss“, auch wenn ich natürlich mit diesem gerade erschienenen Positionspapier beim Buch schreiben noch bewusster hätte agieren können. Aber das setze ich dann einfach in meinem zweiten Buch um, freue mich darauf ;-). Wenn man es erst einmal verinnerlicht hat, ist es auch gar nicht wirklich schwer. Das Einmal Klick Machen im Kopf und Umschalten ist aus meiner Sicht hier wichtig. Und wenn dieses Paper es schafft, dass es bei vielen Journalisten, Menschen mit Diabetes und Mensch rund um Diabetes diesen Klick macht, dann sehe ich sprachlich gesehen mit Freude und Hoffnung in die Zukunft. Natürlich rutscht uns das ein oder andere Wort höchstwahrscheinlich noch eine Zeitlang raus, aber die Tendenz zählt und irgendwann fallen dann nicht mehr die achtsamen Formulierungen positiv auf sondern die „alten“, unachtsamen wirken deplatziert.
Ich danke euch, dass ihr all eure Power in #LanguageMatters gesteckt habt und wir dadurch jetzt für positive Kommunikation so eine starke Basis haben. Im internationalen Bereich gefällt mir „Condition“ anstatt „Disease“ besonders gut, was das Umdenken und Umformulieren angeht.
Herzlichst Maren (Sturny) @diabetesbluemchen
LikeLike