Süß, happy und fit

Von wegen zuckerkrank – ein Blog über glückliches Leben, leckere Ernährung und Sport mit Typ-1-Diabetes

Wenn Diadocs sich im Ton vergreifen – Reaktionen auf meinen letzten Beitrag zu #LanguageMatters

Ein Kommentar

Auf meinen Beitrag neulich – Stichwort ‚der schwer einstellbare Diabetespatient mit der Cola‘ – gab es eine ganze Reihe Rückmeldungen. Auch mit persönlichen Geschichten von Menschen, deren Diabetologen sie in schwierigen Phasen ebenfalls mit Vorwürfen und Kritik überhäuften anstatt Empathie zu zeigen und gemeinsam nach einer machbaren Lösung zu suchen. Ich stelle euch heute zwei dieser Geschichten vor und erzähle euch auch von dem Kommentar eines Arztes, der mich sehr gefreut hat.

Alle drei Beiträge zeigen, dass empathische Kommunikation kein flauschig-esoterischer Schnickschnack ist, sondern dass sie tatsächlich über Erfolg oder Misserfolg der Therapie entscheiden kann. Wenn Ärztinnen und Ärzte keine Bereitschaft zeigen, sich für die individuelle Lage ihrer Patientinnen und Patienten zu interessieren und ihnen bei Problemen grundsätzlich Faulheit, Dummheit, mangelnde Motivation oder gar bösen Willen unterstellen, dann werden sie kaum die Menschen sein, an die man sich in einer schwierigen Situation wenden mag.

Menschen mit Diabetes nicht auf Insulin und BE-Mathematik reduzieren

Die erste Geschichte stammt von Andreas (aka @Lykanthrop_), der sich auf Twitter an der Diskussion des Ausgangs-Tweets beteiligt hat, über den ich mich so geärgert hatte. Dort schrieb er: „Ich hatte auch schon schwierige Phasen mit einem HbA1c von über acht. Anstatt mir zu helfen, hat mein Arzt mich mit Vorwürfen überhäuft. Ich fühlte mich frustriert und erniedrigt, bin am Ende nicht mehr hingegangen und war für zwei Jahre ohne Diabetologen – destruktiv.“ Auf Nachfrage erzählte er mir noch ein bisschen mehr: „Das war Mitte der nuller Jahre, ich hab seit 2008 wieder eine gute Diabetologin. Eigentlich waren meine Werte nicht gänzlich katastrophal, es war so im Übergang zwischen Jugend und Erwachsen, und ich war aus unterschiedlichen Gründen psychologischer Art nicht besonders motiviert, um gute Werte zu kömpfen. Mein Arzt wollte an verschiedenen Schräubchen drehen und das engmaschig kontrollieren, obwohl ich ihm gesagt habe, dass es an mir liegt und nicht an der Therapie. Dafür hatte er null Verständnis. Nachdem ich dann glaub‘ ich zweimal die Woche vorbeikommen sollte, obwohl das zeitlich für mich nicht zu schaffen war, bin ich einfach nicht mehr hingegangen und hab mich nur noch vom Hausarzt versorgen lassen. Eine neue Freundin hat mich dann motiviert, mir eine neue Diabetologin zu suchen, da bin ich heute noch und sehr zufrieden. Erniedrigt hat mich sein fehlender Respekt mir gegenüber und die Reduzierung meines Diabetes auf Insulin und BE-Mathematik. Ein Problem, dass vielleicht öfter auftritt – meiner Meinung nach sollten Diabetologen auch in Grundzügen psychologisch ausgebildet werden.“

Ich fürchte, Geschichten wie die von Andreas kommen häufiger vor als man denkt. Wie kommen Ärztinnen und Ärzte darauf, den Diabetes ausschließlich als eine defekte Körpermechanik zu betrachten, die man halt korrekt „einstellen“ muss, damit der Motor wieder rundläuft? Was genau versprechen sie sich davon, Menschen engmaschig „einzubestellen“, um ihnen bei jedem Termin doch nur wieder denselben vorwurfsvollen Sermon vorzubeten? Wer macht so einen Mist längerfristig mit?

Mobbing, Angst vor Hypos, Überlastung im Job und zyklusbedingte Schwankungen

Die zweite Geschichte stammt von Janet, die sich auf Facebook zu meinem Beitrag äußerte. Sie hat sie mir auch noch einmal ganz ausführlich aufgeschrieben: „Ich hab den Diabetes bekommen, als ich gerade 12 Jahre alt geworden war (inzwischen bin ich fast 36) und habe vor allem in den ersten Jahren einige unschöne Erlebnisse mit Bezug auf den Diabetes gehabt. Eine, die mich wohl mit am meisten geprägt hat, war, als ich in der Schule eine heftige Hypo hatte und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Hypo an sich war nicht das Problem, aber nachdem ich wieder in der Schule war, stellte sich einer meiner Mitschüler vor mich und meinte: „Weißt du was, Janet? Beim nächsten Mal lassen wir dich einfach elendig verrecken!“ Dass solche Erfahrungen nicht gerade förderlich sind, wenn man mit 12, 13, 14… Jahren mitten in der Pubertät damit kämpft, eine Krankheit zu akzeptieren, kannst du dir sicher vorstellen. Ich versuchte daher fortan den Diabetes mehr und mehr zu verstecken und möglichst wenig aufzufallen. Aus Angst vor weiteren Hypos und der damit oft einhergehenden Hilflosigkeit hielt ich den Blutzucker lieber in „sicheren“ Höhen und befand mich schon bald in einen Strudel, der die Blutzuckereinstellung zunehmend schwieriger machte. Das in den Griff zu bekommen und täglich die Motivation aufzubringen, mich um den Diabetes zu kümmern, ist noch heute und nach mehrjähriger Therapie oft ein Kraftakt!

Gegenüber meinem behandelnden Diadoc bin ich mit diesem Thema immer relativ offen umgegangen und hatte irgendwann auch eine Ärztin gefunden, bei der ich mich gut aufgehoben fühlte. Als sie allerdings in den Ruhestand ging, begann die Suche nach dem passenden Arzt aufs Neue. Ich landete schließlich in einer Praxis, die aufgrund ihrer Lage für mich vor allem praktische Argumente lieferte. Da sich der Arzt beim ersten Aufnahmegespräch viel Zeit und mich interessiert auch nach meiner persönlichen Geschichte und Erfahrungen fragte, hatte ich zunächst auch ein recht gutes Gefühl. Er sicherte mir seine Unterstützung zu und war zuversichtlich, dass wir das „zusammen schon hinbekommen würden.“ Doch das gute Gefühl hielt nicht lange an. Denn bereits beim zweiten oder dritten Quartalsbesuch war man mit meiner Leistung nicht zufrieden. Mein HbA1c sei ja immer noch nicht besser und überhaupt. Ob die Krankenkasse bei meiner Motivationslage noch lange die Pumpe bezahlen würde, wäre fraglich. Ich befand mich damals gerade in einer Phase, in der es mir abgesehen vom Diabetes generell nicht gut ging. Mein Job verlangte mir extrem viel ab und brachte mich täglich an meine emotionalen und körperlichen Grenzen. Ich stand kurz vorm Burnout und versuchte das auch meinem Diabetologen zu erklären. Doch statt Einfühlungsvermögen und Unterstützung ernte ich nur Kritik: Wenn ich meinen Job nicht schaffen würde, sollte ich halt kündigen und endlich aufhören, immer neue Ausreden für den schlechten Zustand meines Diabetes zu finden. Ich sei schließlich nicht der einzige Mensch mit Diabetes, andere würden schließlich auch Beruf und Diabetes unter einen Hut bekommen.

Ich fühlte mich in der Praxis mit meiner Situation völlig unverstanden und alleingelassen. Noch dazu gaben mir die Vorwürfe immer mehr das Gefühl zu versagen, selbst Schuld und vor allem „nicht richtig“ zu sein. Selbst als ich eines Tages weinend vor ihm saß und um Hilfe bat, war das einzige Angebot ein Mehr an Kontrolle, das – so wörtlich – „den Druck auf mich erhöhen sollte, endlich mal vernünftig zu werden“. Ich lehnte ab. Ich weiß, dass ich aufgrund meiner psychischen Situation den Diabetes damals tatsächlich viel häufiger habe schleifen lassen. Dennoch fand er selbst in Phasen, in denen ich mir sehr viel Mühe gegeben hatte und auf die ich stolz war, regelmäßig etwas zu kritisieren. Sei es das Pizza-Essen mit Freunden, zu dem ich „für den Diabetes und mein Körpergewicht“ lieber nur einen Salat gegessen hätte. Außerdem nahmen auch gute Phasen sowieso in relativ regelmäßigen Abständen ein viel zu schnelles und dramatisches Ende, indem sich eine Woche anschloss, in der der Blutzucker kaum mal unter 200 zu bringen war. Ich erklärte meinem Diabetologen, dass mir das auch schon aufgefallen sei und dass es einen Zusammenhang mit meinem Zyklus geben müssen.

Ich hatte schon eine ganze Weile lang beobachtet, dass sich in der Woche vor und während der Periode zwei Phänomene regelmäßig abwechseln: In der einen Phase steigt mein Insulinbedarf dramatisch an. Gefühlt gibt es dann Tage, an denen ich auch Wasser in die Pumpe füllen könnte und wohl kaum einen Unterschied sehen würde. In diesen Tagen ist es extrem schwer, den Blutzucker halbwegs im Zaum zu halten. In der anderen Phase muss ich dann das Basalinsulin unterschiedlich stark reduzieren und brauche bei gleicher Ernährung fast keine Boli mehr. Was das Ganze zusätzlich extrem kompliziert macht, ist dass diese Phasen nicht immer in der gleichen Reihenfolge ablaufen und da mein Zyklus generell gestört und sehr unregelmäßig ist, benötigt es unglaublich viel Beobachtung, um rechtzeitig festzustellen, in welcher Phase ich nun gerade stecke. Sowas sei ihm noch nie untergekommen und ich wäre ja nun auch nicht die einzige Frau mit Diabetes. Wenn ich mich doch nur mit der gleichen Hingabe um die Berechnung von Kohlenhydraten und Insulin bemühen würde, die ich verwendete, um Ausreden für meine mangelnde Motivation und Disziplin zu finden…

Heute bin ich froh, dass ich vor 3,5 Jahren zunächst tatsächlich meinen damaligen Job kündigte, mich um eine Psychotherapie bemühte und schlussendlich irgendwann auch den Diabetologen wechselte. Sowohl mein heutiger Diabetologe als auch meine Therapeutin verstehen es den Druck, der auf einem Menschen mit Diabetes liegen kann, wahrzunehmen und emphatisch damit umzugehen. In der Therapie habe ich gelernt anzuerkennen, dass man nicht jeden Tag perfekt sein kann und dass es trotz aller Bemühungen immer auch einen Anteil des Diabetes gibt, der sich nicht 100-prozentig kontrollieren lässt. Das war tatsächlich die härteste Nuss, die ich knacken musste! Und ich empfinde es noch heute oft als ungerecht, wenn das Diabetes-Monster mal wieder durchdreht. Aber ich weiß inzwischen, dass es nichts nützt, wenn ich gegen meinen eigenen Körper ankämpfe und dass man nur nach vorne blicken kann, wenn man nicht ständig nach hinten sieht!“

Photo by Karolina Grabowska on Pexels.com

Diabetesbezogene Belastungen können Depressionen begünstigen

Ich finde hier eine ganze Reihe von Dingen ziemlich erschreckend. Zum einen hat hier offenbar ein Diabetologe rein fachlich seine Hausaufgaben nicht gemacht. Denn zyklusabhängige Blutzuckerschwankungen bzw. Veränderungen der Insulinempfindlichkeit im Laufe des Menstruationszyklus bei Frauen mit Diabetes sind keine wirklich neue Erkenntnis – zumindest unter Diadocs, die sich regelmäßig fortbilden und auch mal ein bisschen Fachliteratur lesen. Zum anderen bringt es mich auf die Palme, wie dieser Diadoc den Diabetes seiner Patientin herunterspielt als Erkrankung, die andere doch locker wuppen, weshalb sie sich bitteschön doch nicht so anstellen soll. Es versteht sich doch eigentlich von selbst, kann aber offenbar gar nicht oft genug gesagt werden: Menschen empfinden Diabetes unterschiedlich. Was der eine locker wegsteckt, ist für einen anderen eine immense Belastung. Die individuelle psychische Resilienz ist auch nicht durchgehend gleich: Jeder Mensch ist mal phasenweise hochmotiviert, in anderen Zeiten eher frustriert und resigniert. Das ist nichts, für das man sich schämen oder rechtfertigen muss.

Im Gegenteil: Anstatt mit Vorwürfen oder Schuldzuweisungen auf der fehlenden Motivation von Menschen mit Diabetes herumzuhacken, sollten Ärztinnen und Ärzte vielmehr aktiv nach psychischen Belastungen fragen. Schließlich ist längst bekannt, dass diabetesbezogene Belastungen ein unabhängiger Risikofaktor für eine Depression und sogar für Suizid sind (eine Zusammenfassung hierzu findet man zum Beispiel hier im Deutschen Ärzteblatt von 2017, Hintergrundinformationen zum Zusammenspiel von Diabetes und Psyche gibt es zum Beispiel hier beim Diabetesinformationsportal Diabinfo). Der tägliche Kampf um Glukosewerte im Zielbereich, die Angst vor Unter- und Überzuckerungen, die Sorge um Folgeerkrankungen, die Penetranz, mit der sich der Diabetes jeden Tag in die Alltagsplanung einmischt… dieser Stress kann Menschen ungeheuer zermürben und ihnen Energie rauben. Zudem wird bei Stress Kortisol ausgeschüttet, das als Gegenspieler von Insulin dessen blutzuckersenkende Wirkung beeinträchtigt. Kein Wunder also, dass bei Stress die Glukosewerte schnell aus dem Ruder laufen. Hohe Zuckerwerte machen außerdem müde, schlagen auf die Stimmung und erschweren das klare Denken. Kommen dann weitere Alltagsbelastungen – etwa in der Familie oder im Job – dazu, kann das leicht in eine gefährliche Abwärtsspirale führen.

Wenn man also davon ausgeht, dass fast 10 Prozent der Menschen mit Diabetes von einer „echten“ Depression betroffen sind, etwa 25 Prozent unter depressiven Verstimmungen leiden und das Risiko für eine Depression bei Menschen mit Diabetes ungefähr doppelt so hoch ist wie in der Allgemeinbevölkerung, dann ist es nicht akzeptabel, wenn Diabetologen sich überhaupt nicht für die psychische Situation ihrer Patientinnen und Patienten interessieren und sie in die gemeinsame Therapieplanung einbeziehen.

Photo by Andrew Neel on Pexels.com

Frust und Selbstzweifel sind keine gute Basis für den Therapieerfolg

Natürlich gibt es auch eine andere Sorte Ärztinnen und Ärzte. Ein schönes Beispiel hierfür bekam ich ganz unverhofft just einen Tag nach meinem besagten Blogbeitrag. Da rief mich ein niedergelassener Chirurg an, der einen Artikel zu dem von mir betreuten Fachmagazin beisteuern will und ein paar Dinge mit mir zu besprechen hatte. Wir gerieten ins Plaudern, und auf einmal meinte er: „Sagen Sie mal, haben Sie nicht vor einer Weile in einer anderen Zeitschrift einen Beitrag über sensible Sprache veröffentlicht?“ Er meinte die Zusammenfassung meines ersten Blogbeitrags zum Thema #LanguageMatters, die nach der Auszeichnung mit dem DDG-Medienpreis im Deutschen Ärzteblatt erschienen war. Er habe den Beitrag seinerzeit mit großem Interesse gelesen und fand den Anstoß zu einer sensibleren Sprache im Umgang mit Diabetes wichtig. Und bei der Gelegenheit erzählte er mir von einer aktuellen Begebenheit mit einem eigenen Patienten, in der er froh war, einen empathischen anstelle eines vorwurfsvollen Tons angeschlagen zu haben. Der Patient war wegen eines anstehenden Gefäßeingriffs in seine Praxis gekommen. Er wusste, dass der Mann starker Raucher war – und Zigaretten sind bekanntlich Gift für die Gefäße. Der Chirurg hätte nun also die Vorwurfsschiene einschlagen und seinen Patienten auffordern können: „Sie müssen unbedingt mit dem Rauchen aufhören!“ Stattdessen entschied er sich für eine andere Wortwahl: „Was können wir denn tun, damit es Ihnen leichter fällt, mit dem Rauchen aufzuhören?“ Und dann, so erzählte mir der Chirurg, brach es aus dem Mann heraus: Er hasse sich selbst dafür, dass es ihm bislang nicht gelungen ist, mit dem Rauchen aufzuhören, so oft habe er es schon versucht, etc. pp. Vermutlich hätte er sich nicht so geöffnet und seinem Arzt die eigene Frustration offenbart, wenn dieser von oben herab im Befehlston mit ihm gesprochen hätte. „Er hätte sich nur noch mehr gehasst und an sich selbst gezweifelt“, meinte der Chirurg. Das wäre kein guter Ausgangspunkt gewesen – weder für die anstehende Therapie, noch für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Ich wünschte, alle Ärztinnen und Ärzten wären in der Lage, ihre Fragen und Empfehlungen so in Worte zu fassen wie dieser Chirurg. Denn wer sich als Patientin oder Patient nicht verstanden und akzeptiert fühlt, tut sich nun einmal schwer damit, (auch berechtigte!) Einwände und Ratschläge anzunehmen und umzusetzen.

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