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Von wegen zuckerkrank – ein Blog über glückliches Leben, leckere Ernährung und Sport mit Typ-1-Diabetes

Was Jugendliche mit Typ-1-Diabetes auf dem Weg ins Erwachsenenleben bewegt

Ein Kommentar

Auf Fachkongressen habe ich schon häufiger darüber gehört, dass es für Jugendliche mit Typ-1-Diabetes nicht leicht ist, von der kinderdiabetologischen Einrichtung in eine „normale“ diabetologische Schwerpunktpraxis für Erwachsene zu wechseln. Welche Gedanken sich manche von ihnen über ihren Weg ins Erwachsenenleben mit Diabetes machen, habe ich diese Woche bei einem Schulungsabend erlebt.

Vor einer Weile erreichte mich die Anfrage einer Diabetesberaterin aus Hamburg, die in einem Kinderkrankenhaus Kids und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes betreut und schult. Ob ich nicht einmal zu einem ihrer Schulungsabende vorbeikommen und über mein Leben als Erwachsene mit Typ-1-Diabetes erzählen könne. Ich fand diese Bitte zunächst etwas ungewöhnlich – schließlich habe ich meine Diagnose ja erst im bereits fortgeschrittenen Erwachsenenalter erhalten, und ich habe keine Ahnung, wie sich der Übergang von Jugend zu Erwachsenenalter mit Typ-1-Diabetes anfühlt. Doch die Diabetesberaterin versicherte mir, das sei kein Problem: Für die Jugendlichen sei es einfach spannend, einmal aus erster Hand zu erfahren, wie es sich als Erwachsene mit Typ-1-Diabetes lebt. Viel besser, als wenn eine Diabetesberaterin graue Theorie predigt. Okay, also einverstanden.

Erster entsetzter Gedanke: Oje, das ist jetzt also meine Welt?

Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes fällt es nicht immer leicht, mit Erreichen der Volljährigkeit ihre gewohnte Diabeteseinrichtung hinter sich zu lassen. Klassische diabetologische Schwerpunktpraxen wirken oft abschreckend auf sie. Das kann ich gut verstehen, denn so ging es mir unmittelbar nach meiner Diagnose (wohlgemerkt im Alter von frischgebackenen 40 Jahren) auch. Als ich zum ersten Mal eine Diabetespraxis betrat, fiel mir als erstes auf, dass im Wartezimmer ganz überwiegend alte und sehr offensichtlich kranke Menschen saßen. Mein erster entsetzter Gedanke war: „Oje, das ist ab jetzt meine Welt?“ Wäre ich damals nicht vernünftige 40, sondern vielleicht erst ungestüme 19 Jahre alt gewesen, hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach auf dem Absatz kehrtgemacht.

Auf Fachkongressen wird viel über „Transition“ diskutiert

Unter Ärztinnen und Ärzten sind die Probleme vom Übergang der Kinder- in die Erwachsenendiabetologie bekannt. Unter dem Stichwort „Transition“ diskutieren sie auf Kongressen immer wieder darüber, wie man Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Übergang in die regulären Diabetespraxen erleichtern könnte. In vielen Diabeteseinrichtungen für Kinder und Jugendliche finden daher eigene Schulungen zu diesem Thema statt – wie die, der ich diese Woche an einem Abend beiwohnen durfte.

Viele besuchen erstmal jahrelang keine Diabetespraxis

Im Vorgespräch erzählte mir die Diabetesberaterin, dass viele Jugendliche bzw. junge Erwachsene nach dem „Ausscheiden“ aus der kinderdiabetologischen Versorgung erst einmal lange gar keinen Diabetologen haben. Denn zu den genannten Problemen mit der Transition komme erschwerend hinzu, dass man in diesem Alter nun einmal auch so langsam von zu Hause auszieht, ggf. für Ausbildung oder Studium an einen anderen Ort zieht und erst einmal tausend andere Dinge im Kopf hat. Und wenn die Eltern sich nicht mehr um regelmäßige Termine in der Diabetesambulanz kümmern, verschieben viele diese unangenehme Facette des Erwachsenendaseins eben erst einmal nach hinten. Viele ließen sich ihr Insulin und ihre Diabetesutensilien erst einmal beim Hausarzt verschreiben und suchten sich erst Ende 20 oder Anfang 30 eine Diabetespraxis. Eine ganz schön lange Zeit ohne diabetologische Expertise, wenn ihr mich fragt – und es wäre gut, wenn sich daran etwas ändert!

Als ich den sieben Jugendlichen zwischen 17 und 19 Jahren dann gegenübersaß, war ich deshalb fest entschlossen, ihnen ein paar Dinge zu vermitteln, die aus meiner Sicht wichtig sind, wenn mal als erwachsener Mensch mit Diabetes klarkommen möchte:

  1. Es ist zwar nicht leicht, aber es lohnt sich, die Glukosewerte im Blick zu behalten und sich um den Diabetes zu kümmern.
  2. Es ist gar nicht so schlimm, regelmäßig eine Diabetespraxis aufzusuchen.
  3. Auch Erwachsene mit Diabetes haben mal keine Lust auf Diabetes und total blöde Diabetestage.
  4. Es tut gut, sich mit anderen Typ-Einsern zu vernetzen – online und offline.
  5. Es gibt viele Drehs, den Diabetes in den Beruf zu integrieren.
  6. Manchmal öffnet einem der Diabetes auch Türen, die man ansonsten gar nicht entdeckt hätte.

Geht raus und vernetzt euch mit anderen Typ-Einsern!

Anfangs hatte ich ein wenig Sorge, dass die Jugendlichen den Abend als langweiliges Pflichtprogramm empfinden und mich genervt anschweigen würden. Also startete ich damit, einfach aus meinem Leben zu erzählen: von meiner Diagnose, von meinem Job als Medizinjournalistin, vom Sport mit Typ-1-Diabetes – und wie wertvoll die Diabetes-Community für mich ist. Ich war erstaunt, dass diese Kids bislang nicht sonderlich vernetzt mit anderen Typ-Einsern waren und auch wenig Überblick über die vielen Facetten der Online-Community hatten. Sogar Blutzucker-Bingo war ihnen kein Begriff! Also erzählte ich ihnen vom T1Day, den ich just zwei Tage zuvor in Berlin erlebt hatte. Von der Hamburger Typ-1-Facebook-Gruppe, ihrem Stammtisch und seiner Entstehungsgeschichte. Von dem Lauftreff, der sich hieraus vorübergehend mal entwickelt hatte. Von der IDAA, zu der ich vor ein paar Jahren gestoßen bin und über die sich viele weitere Freundschaften entwickelt haben. Darüber, wie schön es ist, mit anderen Typ-Einsern an einem Tisch zu sitzen – und beim Essen holen dann alle wie auf Kommando ihren Diabeteskram heraus. Wenn die Leute ohne Diabetes auf einmal in der Minderheit sind und Diabetes das Normalste der Welt. Wenn man sich über Glukoseverläufe nach Pizza, Klausur oder Marathon unterhalten und von anderen Insidern praktische Tipps bekommen kann.

Über den weiteren Verlauf der Gesprächsrunde musste ich mir dann zum Glück keine Sorgen machen: Die Jugendlichen hatten jede Menge interessante Fragen an mich.

Angst vor Folgeerkrankungen?

So wurde ich zum Beispiel gefragt, ob ich Angst vor Folgeerkrankungen habe. Na klar habe ich die, antwortete ich. Aber ich weiß eben auch, dass ich das Risiko für diabetische Neuropathie, Netzhaut- oder Nierenschäden etc. minimieren kann, wenn ich mich gut um meinen Diabetes kümmere. Ich habe darüber mal in der letzten Diabetes-Blogwoche geschrieben. Aber tief im Unterbewusstsein schlummern trotzdem auch irrationale Ängste, die im Alltag nicht an die Oberfläche kommen – wohl aber im Vollrausch. Tja, Jugendlichen als knapp 50-Jährige zu beichten, dass man sich vor nicht allzu langer Zeit auf einer wilden Party in einen Filmriss mit Blutzuckerchaos gesoffen hat, ist ein echter Eisbrecher für die weitere Unterhaltung.

Zufrieden mit dem hiesigen Gesundheitswesen?

Über das Thema Alkohol und Party sprachen wir dann trotzdem nicht weiter, sondern vor allem über wirklich ernsthaftes Zeug. So wollte einer der Jugendlichen wissen, ob ich generell zufrieden mit unserem Gesundheitswesen bin – speziell mit Blick auf die Diabetesversorgung. Also wenn ich unser Gesundheitssystem mal im internationalen Vergleich betrachte, dann habe ich natürlich keinen Grund zu klagen – im Gegenteil. Und doch gibt es natürlich immer Möglichkeiten, Dinge zu verbessern. Beispielsweise das Bewilligungsverfahren für Integrationskräfte für Kinder mit Typ-1-Diabetes, oder generell die Kommunikation zwischen verschiedenen Versorgungsebenen.

Glukosewerte beim Sport

Was der „optimale Blutzuckerwert für Sport“ sei, fragte mich ein Fußballer. Den gibt es nicht, meinte ich. Denn zum einen unterscheiden sich die Sportarten (Ausdauer-, Kraft-, Ball-, Kontaktsportarten etc. pp.) ganz gewaltig, was ihre Auswirkungen auf den Blutzucker angeht. Auch der Trainingszustand und ungefähr drölfzig andere individuelle Faktoren spielen eine Rolle. Am besten dokumentiert man seine Werte bzw. Glukoseverläufe, die körperliche Belastung und die Nahrungsaufnahme während des Trainings und des Wettkampfs genau und analysiert das hinterher, um für das nächste Mal draus zu lernen. Für die Diabetesberaterin war das ein willkommener Anlass, den Jugendlichen noch einmal die Diabetesdokumentation ans Herz zu legen: „Mach es doch wenigstens für den Sport mal, dann siehst du, ob es dich weiterbringt!“

Diabetes im Joballtag

Ob es mir schwerfällt, im Joballtag immer auf meinen Diabetes zu achten, wollte eine andere wissen. Im Büroalltag im Heimbüro eher weniger, meinte ich. Da kenne ich die Lebensmittel, die ich esse, meist ganz gut. Ich kann sie bei Bedarf abwiegen und auch einen Spritz-Ess-Abstand einhalten. Doch wenn ich auf Kongressen unterwegs bin, ist es manchmal etwas schwieriger. Mein Tagesablauf ist dann ganz anders als zu Hause. Auch das Essen ist nicht so gut vorhersehbar. Manchmal gibt es in den Pausen ein Mittagsbuffet, manchmal auch nur ein paar kleine Häppchen oder gar nur Kekse. Ich weiß im Vorfeld dann meist nicht, wann genau ich wieviel und was essen werde – und oft kann ich die Kohlenhydratmenge nur schwer abschätzen. Wenn ich dann auch noch ohne jeglichen Spritz-Ess-Abstand esse, muss ich mich über Werte jenseits der 200 mg/dL nicht wundern. Doch weil ich weiß, dass dies Ausnahmesituationen sind, versuche ich mich nicht von ihnen verrückt machen zu lassen. So ist dann halt mein Job, und dann muss der Diabetes auch mal ein bisschen zurückstehen. Solange Ausreißer nicht die Regel sind, halte ich das auch für absolut vertretbar.

Risiko Selbstständigkeit?

Eine andere Frage lautete, ob es mir nicht Sorgen bereite, dass ich als Selbstständige mit Diabetes nicht so gut abgesichert bin wie als Angestellte. Darüber habe ich tatsächlich auch schon desöfteren nachgedacht. Klar, wenn ich auf einmal wegen gesundheitlicher Probleme länger nicht arbeiten kann, dann gibt es für mich keine Lohnfortzahlung. Doch zum einen ist mir das in meinen bislang knapp 17 Jahren Selbstständigkeit noch nicht passiert. Und zum anderen habe ich eine Krankentagegeldversicherung, die ab der 6. Woche Arbeitsunfähigkeit immerhin einen gewissen Tagessatz an Kompensation zahlen würde. Seit ich verheiratet bin, gehe ich zudem davon aus, dass ich mich in finanziellen Notlagen auch auf meinen Mann verlassen kann. Insofern sehe ich für mich kein sonderlich großes Risiko in der selbstständigen Tätigkeit. Im Gegenteil weiß ich ihre Vorteile sehr zu schätzen: Wenn mich tagsüber mal eine Hypo blöd erwischt, kann ich einfach entscheiden, dass ich mich mal für eine halbe Stunde hinlegen möchte. Da gibt es keinen Arbeitgeber, dem ich Rechenschaft schuldig wäre. Und wenn vormittags die Sonne lacht und der Zucker passt, kann ich ganz einfach mitten am Tag eine Sporteinheit im Freien einlegen – einfach so, wie ich gerade lustig bin. Diese Freiheiten sind in meinen Augen absolut gesundheitsförderlich.

Fragen rund um die Berufswahl

Wir sprachen dann über die beruflichen Pläne und Wünsche der Jugendlichen. Nachdenklich und auch ein bisschen traurig machte mich die Aussage von einem der Jungen, der sinngemäß sagte: „Es ist wichtig, dass man einen Beruf ergreift, mit dem man genug Geld verdient, dass man im Zweifel sein Insulin und alle anderen Diabetesutensilien selbst bezahlen könnte – denn man weiß ja nicht, ob all das immer von der Krankenversicherung übernommen wird.“ Ehrlich gesagt hatte ich noch nie die Befürchtung, dass die gesetzliche Krankenversicherung irgendwann einmal nicht für die Kosten meiner Diabetesversorgung aufkommen würde. Und ich fragte mich auch, wie der Junge wohl auf diese Idee gekommen ist. Was für eine Bürde muss auf ihm lasten! Auch sonst schien er weniger optimistisch in die Zukunft zu blicken als die anderen Jugendlichen. Ich versuchte, seine Sorgen ein wenig zu zerstreuen, indem ich von den vielen Möglichkeiten erzählte, die es zur beruflichen Integration gibt. Sei es ein CGM-System, um das Risiko auch in sicherheitsrelevanten Jobs überschaubar zu halten. Oder Beratung und Unterstützung durch Fachleute, wenn einem der Traumjob aus unerfindlichen Gründen verwehrt bleibt.

Vielleicht sieht man sich ja mal wieder…

Es waren intensive anderthalb Stunden, die für mich bestimmt mindestens ebenso interessant waren wie für die Jugendlichen. Am Ende hatte ich – der kleine Werbeblock ausdrücklich erwünscht gewesen – einen Haufen Flyer für mein Buch „In guten wie in schlechten Werten“ verteilt und allen Jugendlichen ein IDAA-Jahrbuch in die Hand gedrückt. Vielleicht entschließen sich ja ein paar von ihnen, nächstes Mal zum T1Day nach Berlin zu fahren. Oder mal bei einem Typ-1-Stammtisch in Hamburg vorbeizuschauen. Oder bei einer IDAA-Veranstaltung – immerhin findet dieses Jahr dieIDAA-Mitgliederversammlung am 16. Mai 2020 im schleswig-holsteinischen Itzehoe statt, zusammen mit dem Itzehoer Störlauf.

Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn sich die Jugendlichen auf irgendeine Weise unserer wunderbaren Community anschließen würden. Und ich kann mir vorstellen, dass der Übergang ins Erwachsenenleben mit Diabetes um einiges leichter ist, wenn man Menschen an seiner Seite weiß, die ebenfalls mit diesem lästigen Begleiter durchs Leben gehen.

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