In meinem ersten Beitrag zum Thema Kalorienzählen und Abnehmen hatte ich eine ausführliche Buchbesprechung angekündigt, und heute erzähle ich euch endlich einmal, warum mir das Buch „Fettlogik überwinden“ von Nadja Hermann so gut gefällt. Für mich (minus 8 Kilo seit Januar) und meinen Mann Christoph (minus 25 Kilo seit Januar) war es genau das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt.
Anfang des Jahres hatten Christoph und ich beide die Faxen dicke. Ich wollte nicht weiterhin mit jedem Jahr Diabetes ein Kilo zunehmen, er wollte das seit Jahren bzw. eher Jahrzehnten stetige Auf und Ab seines Gewichts im übergewichtigen Bereich nicht länger mitmachen. Und als ich auf dem Weg nach Wien zum ATTD-Kongress Ende Januar 2018 am Flughafen Hamburg noch ein wenig durch das Buchsortiment stöberte, fiel mir „Fettlogik überwinden“ in die Hände. Ich hatte keine Lektüre für den Flieger eingepackt, also griff ich kurzentschlossen zu und hatte das Buch beinahe schon zu einem Drittel ausgelesen, als ich in Wien landete.
Fettlogik überwinden – darum geht es in dem Buch
Worum geht es in dem Buch? Die Autorin Nadja Hermann, studierte Psychologin und Ernährungswissenschaftlerin, war selbst viele Jahre lang massiv übergewichtig und wog zum Schluss 150 Kilo. Lange Zeit war sie gar nicht sonderlich unglücklich mit ihrem Gewicht, doch als ihre Knie ihr zunehmend Probleme bereiteten, zog sie die Reißleine und nahm radikal ab. Und zwar, indem sie konsequent alle zugeführten Kalorien dokumentierte und mit den verbrauchten Kalorien gegenrechnete. Im Verlauf von anderthalb Jahren verlor sie mehr als die Hälfte ihres Ursprungsgewichts und hält seitdem schlanke 65 Kilo. Maximal beeindruckend, würde ich sagen. In ihrem Buch beschreibt sie, wie sie sich als Dicke gefühlt hat und welche „Glaubenssätze“ bzw. „Ernährungsmythen“ sie über Bord werfen musste, damit sie abnehmen konnte. Denn es gibt viele Mythen, die sich um das Abnehmen ranken und die vielen Übergewichtigen als willkommene Ausrede dienen, warum es genau für sie eben nicht funktioniert mit dem Abnehmen. Die Autorin beschreibt ihren eigenen Weg des Abnehmens, ihre veränderte Körperwahrnehmung und die Reaktionen ihrer Umwelt, die oftmals gar nicht so begeistert war, dass sie nun schlank und rank durch’s Leben ging. Und sie kritisiert die Fat-Acceptance-Bewegung für ihre Neigung, im Zusammenhang mit (wünschenswerter!) Akzeptanz übergewichtiger Menschen die gesundheitlichen Risiken von Übergewicht zu verharmlosen. Im Folgenden schildere ich einmal, was mich an diesem Buch besonders nachhaltig beeindruckt hat.
- Stichwort Kalorienzählen. Man glaubt ja gar nicht, wie leicht man sich vertut, wenn man Kalorien nur schätzt anstatt sie penibel auszurechnen. Wer Diabetes hat und Kohlenhydrate berechnen muss, kennt das Problem: KE schätzen ist beileibe nicht dasselbe wie KE auswiegen. Wer genau Buch führen möchte, sollte sich also die Mühe machen, zumindest zeitweise sein Essen auszuwiegen und sämtliche Kalorien zu addieren. Ja, auch die paar Kalorien im Kaffee mit einem Schuss Milch, auch die paar Kalorien der ein, zwei Plättchen Traubenzucker bei der letzten Hypo. Meine Erfahrung: Es kommt im Laufe eines Tages meist eindeutig mehr zusammen als man mit vermeintlich geübtem Blick geschätzt hätte.
- Stichwort Kalorienverbrauch. Ebenso hart ist der Realitäts-Check beim Kalorienverbrauch. Klar, eine intensive Sporteinheit verbraucht eine Menge Kalorien. Aber sie ist kein Freibrief für hemmungslose Völlerei am All-You-Can-Eat-Buffet! Das war eine wichtige Erkenntnis insbesondere für Christoph, der sich oft schon geärgert hatte, warum er trotz Marathon-Training mit regelmäßigen mehrstündigen Läufen nicht so recht von seinem Gewicht herunterkam. Sein Problem: Nach einem langen Lauf hatte er oft das Gefühl, sich eine üppige Mahzeit verdient zu haben. Und inhalierte mal eben drei Brötchen mit Belag, vor dem eigentlichen Abendessen wohlgemerkt.
- Stichwort Kaloriendefizit. Es bringt nicht so viel, sich für jeden Tag ein fixes Kalorienlimit zu setzen, weil man jeden Tag unterschiedlich viel Energie verbraucht. Mein Grundumsatz etwa liegt bei gut 1.300 Kalorien, an einem Bürotag mit wenigen Schritten verbrauche ich etwa 1.600 Kalorien. Doch wenn ich eine Stunde Lauftraining absolviere, steigt mein Kalorienverbrauch auf bis zu 2.500 Kalorien. Wir bringen verbrauchte und zugeführte Kalorien über die Fitbit-App miteinander in Einklang. Christoph hatte sich während seiner Abnehmphase das Ziel gesetzt, täglich 1.000 Kalorien einzusparen (und dieses Ziel tatsächlich sogar übererfüllt), ich wollte täglich 500 Kalorien weniger essen als ich verbrauche (und habe das pi mal Daumen auch geschafft). An einem faulen Bürotag habe ich also nur ein Budget von 1.100 Kalorien (was traurig wenig ist), an einem Sporttag hingegen kann ich mich mit 2.000 Kalorien gut sattessen. Eine bessere Motivation für mehr Bewegung gibt es für mich nicht! 🙂
- Was Dicksein nicht ist. Dicke sind nicht doof, nicht faul, nicht hässlich, nicht verachtenswert. Dicksein ist auch nicht zwingend ein Zeichen von Unbeherrschtheit oder schwachem Willen. Die meisten Menschen mit Übergewicht haben ihre Speckröllchen nicht, weil sie an keinem McDonalds vorbeigehen können oder jeden Tag völlig unkontrolliert Unmengen Essen in sich hineinstopfen. Sondern, weil sie über einen langen Zeitraum jeden Tag gewohnheitsmäßig ein bisschen mehr gegessen haben als sie verbrennen. Das passiert in unserer Wohlstandsgesellschaft wirklich sehr leicht, weil Essen immer und überall verfügbar ist, auf Schritt und Tritt irgendetwas lecker riecht und uns zum Essen animiert. 100 bis 200 Extrakalorien pro Tag (die aus ein bis zwei Duplo-Riegel, aus 1-2 Scheiben Brot oder ein bis zwei großen Äpfeln stammen können) sind an einem einzelnen Tag nicht viel. Doch in der Summe, über einen längeren Zeitraum, eben doch.
- Was Dicksein ist. Übergewicht ist ein Risiko für so gut wie alle Erkrankungen, die das medizinische Lehrbuch so bereithält, von Diabetes über Krebs bis hin zu Gelenkverschleiß. Es hilft überhaupt nichts, das zu beschönigen, darüber hinwegzusehen oder diese Tatsache zu leugnen. Erst vorgestern habe ich beim Kongress Ernährung 2018 in Kassel wieder eine Folie mit Statistiken gesehen: Schon mit leichtem Übergewicht (BMI von 25 bis 30) gehen Männern 5,9 und Frauen 6,3 gesunde Lebensjahre verloren, Männer haben eine 2,7 Jahre kürzere Lebenserwartung, Frauen 2,6 Jahre. Bei Adipositas (BMI 30 bis 35) gehen Männern 11,8 und Frauen 14,6 gesunde Lebensjahre verloren, die Lebenserwartung sinkt für Männer um 5,9 und für Fraue um 5,6 Jahre. Bei schwerer Adipositas (BMI über 35) verlieren Männer 18,8 und Frauen 19,1 gesunde Lebensjahre, die Lebenserwartung sinkt für Männer um 8,4 und für Frauen um 6,1 Jahre. Vergleichsgröße sind immer Männer und Frauen mit Normalgewicht. Wer die Studie lesen möchte, auf die sich der Referent bezogen hat, der möge hier bzw. hier klicken. Übrigens: Das sogenannte Adipositas-Paradoxon, wonach Menschen mit Übergewicht einen leichten Überlebensvorteil gegenüber Schlanken haben sollen, ist inzwischen widerlegt. Man sollte also nicht drumherumreden: Dicksein ist ein Gesundheitsrisiko, und wer seinem Körpger einen Gefallen tun möchte, sollte Normalgewicht anstreben.
- Ernährungsmythen. Ja, ich habe auch an den Jojo-Effekt geglaubt, der sich angeblich nahezu schicksalshaft nach einer Diät einstellt – weswegen man von Diäten besser die Finger lassen sollte. Ist aber Quatsch. Der Denkfehler liegt darin, dass man gern glauben möchte, dass man nach einer erfolgreichen Diät und erreichtem Zielgewicht sein Projekt abgeschlossen hat und deshalb wieder „normal“ essen kann. Das Problem: Es war ja genau dieses vermeintlich normale Essen, das einen ins Übergewicht geführt hat, insofern sollte man es nicht einfach wieder aufgreifen. Außerdem sinkt mit dem Gewichtsverlust auch der Grundumsatz des Körpers, sodass man nach einer Diät weniger Kalorienbedarf hat als vorher und entsprechend leider auch (leider!) nicht ganz darum herumkommt, die Kalorienzufuhr wachsam zu beobachten. Es gibt auch noch eine ganze Menge weiterer Mythen, die ich nur allzu bereitwillig angenommen habe, um mich darüber hinwegzutäuschen, dass ich an meinem Gewicht etwas ändern kann, wenn ich es denn will und konsequent daran arbeite.
- Wahrnehmung dicker und schlanker Menschen. Nadja Hermann beschreibt in ihrem Buch sehr anschaulich, dass sich in unserer Gesellschaft, in der 2015 bereits knapp ein Viertel der Bevölkerung fettleibig waren (sprich: BMI über 30) die allgemeine Wahrnehmung von Schlank- und Dicksein verschoben hat. Man neigt also dazu, sogar Menschen noch als schlank anzusehen, die längst die kritische Grenze zum Übergewicht überschritten haben. Das ging mir persönlich auch in Bezug auf mich selbst so: Als ich im Winter 2017/2018 mein „Kampfgewicht“ von 71 Kilo (bei 160 Zentimetern Körpergröße) erreicht hatte, empfand ich mich allenfalls als etwas moppelig, aber definitiv nicht als dick. Dabei war ich eindeutig dick. Entsprechend werden Menschen, die abnehmen, häufig mit Sätzen konfrontiert wie „Mehr solltest du aber nicht abnehmen!“ oder „Du hast doch eine prima Figur, daran ist doch nichts auszusetzen!“ oder „Pass auf, dass du nicht magersüchtig wirst!“. Christoph, der mit seinen 25 Kilo Gewichtsverlust sehr drastisch und für alle offensichtlich abgenommen hat, kann ein Lied davon singen. Dabei ist er nun einfach nur… schlank. Auch ich habe schon solche Sprüche gehört, obwohl ich mich mit einem BMI von aktuell 24,3 im oberen Bereich des Normalgewichts bewege. Und nein, eine Essstörung ist es beileibe nicht, wenn man sein Gewicht gern in einen gesunden und normalgewichtigen Bereich reduzieren möchte.
- Fat is beautiful, Fat Acceptance, Körperakzeptanz-Bewegung. Die Autorin geht in ihrem Buch ziemlich hart mit Teilen der sogenannten Fat- Acceptance-Bewegung ins Gericht. Gemeint ist die Bewegung, die sich z. B. dafür einsetzt, dass dicke Menschen nicht diskriminiert werden, sich nicht für ihr Aussehen schämen müssen, sich am Strand unbefangen im Bikini zeigen und in Geschäften mehr modische Auswahl als geblümte Kittelschürzen vorfinden. Alles unstrittig gute und richtige Ziele, wie die Autorin auch mehrfach betont. Es ist selbstredend immer falsch, Menschen zu beleidigen oder zu diskriminieren, weil sie so aussehen wie sie aussehen, weil sie diese oder jene Eigenschaften haben. Doch wenn Leute dazu übergehen, Übergewicht und sogar massive Adipositas zu feiern oder gar zum neuen Schönheitsideal zu erklären, dann ist eine eigentlich sinnvolle Anti-Diskriminierungsbewegung weit über das Ziel hinausgeschossen. Denn Übergewicht und Adipositas sind und bleiben nun einmal große Gesundheitsrisiken (siehe oben) und sollten deshalb nicht verklärt werden. Mir kam dabei ein Vergleich aus der Diabeteswelt in den Sinn: Es ist falsch, Diabetiker für einen hohen HbA1c-Wert zu verurteilen und deswegen als „schlechte Menschen“ abzustempeln. Das ändert aber nichts daran, dass hohe Glukosewerte eine Gefahr für die Gesundheit sind und dass man nach Möglichkeit etwas dagegen unternehmen sollte.
- Selbstwahrnehmung. Nadja Hermann schreibt auch davon, dass sie selbst viele Jahre lang falsche Hoffnungen in das Abnehmen gesetzt hat. So nach dem Motto: „Wenn ich erstmal schlank bin, sind all meine anderen Probleme auch Vergangenheit.“ Klar fühlt man sich mit deutlich weniger Gewicht vermutlich wohler in seinem Körper und gewinnt dadurch womöglich an Selbstvertrauen. Doch wer zuvor eher ängstlich und schüchtern war, wird auch als schlanker Mensch nicht auf einmal ein extrovertierter Abenteurer – und die Welt ist auch sonst kein besserer Ort geworden. Schlankwerden ist sicher ein guter Weg um eine Reihe gesundheitlicher Probleme in den Griff zu bekommen. Doch es ist kein Allheilmittel für alles, was im Leben nicht so läuft, wie man es sich wünscht.
- Lustige und gleichzeitig tiefgründige Comics. Besonders gut haben mir die Comics gefallen, mit denen die Autorin ihre Kapitel zu den einzelnen Ernährungmythen illustriert hat. Sie bringen so manche Absurditäten toll auf den Punkt. Mein Lieblingscomic findet sich in dem Kapitel mit der Überschrift „Kalorienzählen ist essgestört und genussfeindlich!“ Er überträgt das Unverständnis das konsequenten Kalorienzählern oft entgegenschlägt, einfach mal auf einen ganz anderen Lebensbereich, nämlich die persönliche Finanzplanung. Zwischen zwei kleinen Strichgesichtern entspinnt sich folgender Dialog:
A: Was sagst du zu dem Kleid?
B: Toll, daber das kann ich mir nicht leisten!
A: Was? Unsinn! Man muss sich auch etwas gönnen!
B: Ich will diesen Monat nicht noch mehr ins Minus…
A: Du kennst deinen Kontostand?
B: Äh… ja?
A: Findest du das nicht irgendwie… zwanghat? Ich schaue nie aufs Konto, da wäre die gesamte Freude am Einkaufen weg. Wenn ich einen Flatscreen kaufe, will ich nicht über Kosten grübeln… Ich will mich einfach freuen. Dieses Aufs-Konto-Schauen ist doch total genussfeindlich. Ich finde ja, das ist schon fast eine Einkaufsstörung.
In diesem Sinne empfehle ich das Buch jedem, der mal ein paar vermeintliche Wahrheiten über das Abnehmen über Bord werden und wirklich erfolgreich Kilos purzeln lassen will. „Fettlogik überwinden“ ist im Februar 2016 im Ullstein-Verlag erschienen, hat 400 Seiten und kostet 9,99 Euro.
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20. März 2021 um 11:40
Sehr schöner Kommentar zum beschriebenen Buch, das ich als Hörbuch mehrfach gehört habe.
Meiner Meinung nach gibt es schon Unterschiede in den Kalorien, da der Körper z.B. Proteine anders verstoffwechselt als Zucker. Grundsätzlich ist Abnehmen aber IMMER eine Frage der Kalorienbilanz. Die Qualität der Kalorien ist aber m.E. von elementarer Bedeutung, zumal sie auch für das Sättigungsgefühl wichtig sind.
Ich mache gerade die Erfahrung, dass wenn man den individuellen Bedarf an Proteinen, Ballaststoffen, Gemüse und auch Obst sowie gesunden Fetten deckt, dazu ausreichend trinkt, man dann auch mit einem relativ niedrigen Kalorienbedarf auskommt ohne zu hungern. Ich treibe zusätzlich viel Sport und habe momentan ein tägliches Defizit von etwa 1.000 kcal. Ich esse abwechslungsreich, koche viel selbst, benutze fasr keinerlei Fertiggerichte etc. Und decke auch meinen Eiweißbedarf nur über natürliche Nahrung, keine Shakes etc.
Was ich seit 5 Wochen nicht mehr esse/trinke sind Cola, Chips, Schokoriegel, Süßstoffe, Weißmehl. Massiv reduziert habe ich Alkohol, Milch, Zucker (inkl. Karamell-Sirup im Latte), auch Brot. Dafür mehr Gemüse (zu jeder Mahlzeit, außer Frühstück, da gibt es Obst) und Chiasamen als zusätzliche Ballaststoff-Quelle sowie 1 Hand voll Nüsse abends.
Im Wesentlichen ist Abnehmen aber auch eine Kopfsache. Wer sich selbst belügt und die Realität nicht sehen will, hat keine Chance.
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